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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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zahllose Theater, mehr als er von seinem letzten Besuch in Erinnerung hatte. Schade, dass es so spät war, sonst hätte er ins Marmottan-Mu- seum hinübergehen und sich die Monets anschauen können. Vielleicht sollte er lieber ins Kino gehen und sein Französisch ein we- nig aufpolieren. Aber die vielen Bars waren zu verlockend. Er ging in eine. Sie war voller Touristen. Nervöse Araber, die an ihren Weinglä- sern nippten; Amerikaner, die lautstark nach Martinis verlangten. Am Tresen saßen einige Franzosen über ihren Drinks oder Kaffees. Er drängte sich dazwischen und schaffte es mit einiger Mühe, einen Stoli zu bekommen.
    Der Drink war klein und überteuert, aber er wirkte; also bestellte er noch einen. Er fragte sich, ob die örtlichen Nutten genauso überteuert waren wie der Alkohol. Er war verwöhnt von den Asiatinnen, die sich für ein paar Dollar den Arsch abarbeiteten, die massierten, bliesen, vö- gelten und die abartigsten Dinge taten und anschließend für die nächste Runde vom Manager durch ein frisches Gesicht ersetzt wur- den.
    Er fragte niemand bestimmten: »Weiß irgendwer, warum Raubtiere immer gerissener sind als ihre Beute?«
    Niemand antwortete.

»Weil sie gerissener sein müssen. Die Beute lebt von der Arbeit – vom Grasfressen, vom Ackerbau, wovon auch immer. Raubtiere leben von ihrer Gerissenheit. Deswegen sieht eine Gazelle den Löwen nicht. Deswegen sieht uns das Rotwild nicht.« Er machte eine Pause, dann hob er sein Glas. Der Barkeeper tat es ihm nach. Er stieß mit dem Mann an.
    Zugegeben, er war hergekommen, um eine Schlägerei anzuzetteln. Aber er war achtundvierzig Jahre alt, verdammt noch mal; was sollte er tun – sich wie ein durchgedrehter Teenager aufführen? Außerdem konnte man Leute nur schwer beleidigen, wenn sie einen nicht ver- standen.
    Er ging. Regen schlug ihm ins Gesicht. Er marschierte los und wünschte, etwas wirklich Wichtiges zu tun zu haben. Warum hatte kei- ner die Frau fotografiert? Weshalb hatten sie nicht den verdammten Reisepass einkassiert? So konnte man nicht mal eine Großfahndung einleiten.
    Er ging so schnell, dass er praktisch rannte. Es schüttete in Strömen. Unter den Straßenlaternen sah er die aus dem tief hängenden Himmel hinabfallenden Regenmassen. Er rannte, wie ihm plötzlich bewusst wurde, weil er Angst hatte. Wie fühlte es sich an, wenn einem bei le- bendigem Leib das Blut ausgesaugt wurde? Diese Mistviecher waren Parasiten. Riesige, schleimige Blutsauger.
    Wie um aller Welt war sie ihnen entkommen? Man entkam der Flug- hafenpolizei nicht, wenn sie einen einmal geschnappt hatte. Das war unmöglich! Und doch hatte sie es geschafft.
    Natürlich, ihre Intelligenz. Sie musste ein Genie sein. Welcher Schluss ließ sich daraus ziehen? Wie viele Schritte war sie ihnen vor- aus? Zehn? Fünfzig? Tausend? »Gottverdammt!«
    Dann fragte er sich, ob sie von ihm wusste. Er hatte keine Ahnung, wie sie das hätte bewerkstelligen sollen, aber er hatte ja auch keinen Intelligenzquotienten von 250. Sie konnte in diesem Augenblick drei Meter von ihm entfernt sein, ohne dass er den leisesten Schimmer ge- habt hätte.
    Er entdeckte einen kleinen Laden, in dessen Auslage neben Orange Crush und Evian-Wasser auch diverse Weine feilgeboten wurden. Es gab einen guten Muskatellerwein für rund neun Dollar. Er entrichtete den Preis und nahm die Flasche unter den Arm.
    Im Hotel fiel ihm ein, dass er keinen Korkenzieher hatte. Deswegen schlug er kurzerhand den Flaschenhals ab, legte sich, aus der zersplit-

terten Öffnung trinkend, auf das Bett und starrte zu dem Büroturm hoch. All die dunklen Fenster – und nirgendwo eine Menschenseele. Es war nicht allein der Wein, aber allmählich fühlte er sich besser. Vor allem die beiden Wodkas hatten ihm gut getan. Vielleicht würde er irgendwann im Morgengrauen einschlafen, vielleicht auch nicht. Er erwachte im trüben grauen Morgenlicht; von der Straße drang Mu- sik nach oben – irgendein wildes arabisches Volkslied. Oberhalb sei- nes Dachfensters erhob sich der Büroturm wie ein monströses Ge- spenst. Er stand auf und wollte eine Zigarette, griff aber stattdessen nach seinen Kaugummis. Er zerkaute einen mit brutaler Kraft, schob sich den Nächsten in den Mund und kaute so lange darauf herum, bis seine Kiefer schmerzten.
    Er war gestern Abend ziemlich rüde mit den Kindern umgesprungen. Aber das war nichts Neues. Sie hatten trotzdem ihre Froschschenkel bekommen. Tatsache war, dass er seine Kinder liebte. Er wollte,

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