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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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warnen.
    Entweder er und seine Leute würden diesen Ort vollständig ausräu- chern, oder sie büßten jedwede Chance ein, die übrigen Vampire zu überraschen.
    Aus der Tiefe des Tunnels kam eine längliche, wie eine gigantische Spinne erscheinende Gestalt auf ihn zugelaufen; im Lichtschein seiner Taschenlampe sah er für einen Augenblick ihren unheilvollen Schat- ten. Er knipste das Licht aus.
    Er lauschte den unablässig näher kommenden Schritten. Nun konnte er die langsamen, fast seelenvollen Atemzüge des Wesens hören. Es kam immer näher, bis es schien, als ob das Wesen direkt vor ihm stünde. Aber Tunnel täuschen, daher wusste er, dass ihm noch etwas Zeit blieb. Es schien fast über den Boden zu gleiten, als trüge es Sei- denschuhe oder kröche wie eine Schlange.
    Er hob die Waffe und wartete.
    Das Wesen blieb stehen. Die Atemzüge wurden leiser, klangen tiefer. Wo stand es? Er war sich nicht sicher.
    Er knipste die Taschenlampe an und sah die ihn aus zehn Metern Entfernung anfunkelnden Augen. Das Gesicht war hellgrau und sah aus wie eine Horrormaske aus einem schlechten Gruselfilm; eine sol- che Fratze konnte nicht von der Oberfläche der Erde stammen. Er schoss. Der Körper bekam die volle Wucht der Kugeln ab, wurde fünf Meter nach hinten geschleudert und schlug völlig zerfetzt an die Tun- nelwand. Ein abgerissenes Bein rollte die steile Neigung in die Dunkel- heit hinab.
    Der Kopf hatte sich nicht vollständig vom Rest des zerfetzten Torsos gelöst. Die Augen, die noch einen letzten Lebensfunken offenbarten, starrten schockiert zu ihm herüber. Er musste noch einmal schießen, und ihm missfiel, weitere Munition zu vergeuden, aber dafür würde er sich danach keine Gedanken mehr über diesen äußerst hässlichen Vampir machen müssen.
    Er zielte, drückte ab und verspürte die vertraute Befriedigung, die ihn

überkam, wenn er einen Blutsauger endgültig ins Jenseits beförderte. Er ging weiter durch den Tunnel. Er war von Kopf bis Fuß mit Vam- pirblut besudelt und roch dessen ranzigen Gestank. Er spürte, wie es in seinen Schuhen schwamm, spürte die Nässe zwischen den Zehen. Das Blut konnte in den Körper eindringen. Wenn man eine Schnitt- wunde hatte, konnte es einen verdammt krank machen. Er hatte es am eigenen Leib erlebt, sie alle hatten es am eigenen Leib erlebt – das Fieber, den monströsen, eigenartigen Hunger, die schleppende Gene- sung.
    Während er unablässig in die Tiefe hinabstieg, spürte er, wie mit je- dem Schritt ein Stück seiner Erwachsenenpersönlichkeit von ihm ab- fiel. Die Weinliebe, die Liebe zu klassischer Musik, die langen Tage, die er an eleganten Orten verbracht hatte – all das löste sich in nichts auf. Übrig blieb nur ein todtrauriger, zorniger, kleiner Junge auf der Su- che nach dem Mörder seines Vaters.
    Er ging immer weiter, tief hinein in das Herz dieses vorzeitlichen Nist- platzes. Er befand sich nun mehrere hundert Meter unterhalb der Tropfsteinhöhle, in Untiefen, in die ein gewöhnlicher Mensch niemals hinabsteigen würde oder konnte, und ging durch schmale Tunnel- gänge, deren Wände mit nicht zu entziffernden Schriftzeichen bemalt waren und deren Decken und Böden perfekt arbeitende Vampirhände glatt poliert hatten.
    Es war das große Geheimnis dieser Welt, dass es, tief im Innern des Planeten verborgen, Orte wie diesen gab, Orte, an denen schreckliche Kreaturen mit furchtbarer Arglist die blutige Geschichte der Menschheit gesteuert hatten.
    Plötzlich spürte er, dass er sich in einem größeren Raum befand. Und ihm wurde bewusst, dass er einen anderen Geruch wahrnahm. Er befürchtete, dass, wenn er die Taschenlampe anknipste – und dies würde er tun müssen –, er hunderte dieser grausigen Kreaturen vor sich erblicken würde.
    Er legte den Daumen auf den Schalter. Er schob ihn nach vorne. Im ersten Augenblick begriff er nicht, was er sah. Der Raum war so groß, dass der Lichtstrahl nach vielleicht hundert Metern verblasste. In zwei endlosen, von einem schmalen Durchgang getrennten Regalrei- hen waren runde, bräunliche Gegenstände aufgestellt. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es Menschenschädel waren. An einigen hin- gen noch Haarbüschel, wie bei einem Totem.
    Er nahm an, dass hier unten rund eine Million Skelette lagen. Weder

Ratten noch Maden hatten sich über sie hergemacht, denn die Leichen waren zu vertrocknet, um solches Getier anzulocken – nur winzige, na- menlose Käfer, die überall herumflitzten, zernagten sie langsam

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