Whitley Strieber
stieß es mit einer verächtlichen Geste fort.
»Miriam, sag mir bitte, was mit dir los ist!«
»Mein Französisch ist völlig veraltet«, schimpfte sie. »Ich will morgen um Punkt zehn einen Sprachlehrer im Haus haben.«
»Ja«, sagte Sarah, sich bewusst, dass ihre Stimme zitterte, »ein Sprachlehrer, um Punkt zehn.«
Während sie einen Moment lang schwiegen, wackelte die Concorde ein wenig. »Ich habe dich gebraucht, Sarah, und du warst nicht für mich da.«
Sarah schloss die Augen. Tränen quollen unter den Lidern hervor. »Weinst du wegen mir?«
Sarah nickte. »Du bist die Liebe meines Lebens.«
»Und trotzdem hast du meine Anrufe ignoriert. Du liebst mich, und doch willst du, dass ich sterbe. Genauso ist es.«
»Ich will nicht, dass du stirbst.«
»Du hasst mich, seit ich dir mein Blut geschenkt habe.« Ihre Lippen verzogen sich. »Das Geschenk des ewigen Lebens!«
»Du hättest mich vorher fragen sollen.«
»Du bist ein Idiot, Sarah.« Dann lächelte sie plötzlich. »Aber ich ge- nieße deine Gegenwart. Du bist eine hervorragende Wissenschaftle- rin!«
»Und du bist eine Mörderin, Miriam.«
»Sei nicht albern.«
»Aber ich liebe dich trotzdem.«
»Der Wodka ist warm.«
Sarah stand auf und schritt wie ein Roboter durch den Gang. Die Ge- sichter der anderen Passagiere wirkten so lebendig, ihre Wangen auf- fallend rosig. Sarah wusste, dass dies die ersten Anzeichen für ihren aufkommenden Hunger waren. In einer Woche würde sie wieder Nah- rung zu sich nehmen müssen. Sie würde es, wie immer, zunächst mit dem Blut versuchen, das sie in der Blutbank in der Dreißigsten Straße kaufte.
»Ich hätte gern eine kältere Flasche«, sagte sie zu dem Steward. »Natürlich, Mademoiselle.« Er nahm eine neue aus dem Kühlfach seines Wagens und stellte die alte hinein.
Sie ging zu ihrem Platz zurück, schenkte Miriam einen neuen Drink ein und setzte sich erst danach hin. »Ich möchte dir helfen«, sagte sie. »Deine Inkompetenz ist gefährlich.«
»Ich bin das Beste, was du hast.«
»Im Augenblick ja«, sagte Miriam mit gleichgültig klingender Stimme, als langweilte sie das Thema bereits.
Sarah zuckte erschrocken zusammen. »Würdest du mir bitte verra- ten, was ich verbrochen habe?«
»Ich habe ständig versucht, dich anzurufen.«
»Das hältst du mir jetzt zum fünfzigsten Mal vor. Aber du musst mir erzählen, was geschehen ist. Warum hast du mich so dringend ge- braucht? Wovor fliehen wir? Miriam, bitte, sage mir, was hier vorgeht.« Der Ton der Triebwerke änderte sich, die Maschine senkte die Nase zum Landeanflug. »Gib endlich zu«, sagte Miriam, »dass du dich als hoffnungslos inkompetent erwiesen hast.«
Sarah nickte.
»Dann gibst du also auch zu, dass ich nicht riskieren kann, mich wei- ter auf dich zu verlassen.«
Sarah nickte erneut, und dieses Mal rollten Tränen über ihr Gesicht. »Miriam, ganz gleich, wie du dich entscheiden wirst ...«
»Die Sache ist bereits entschieden.«
»Du brauchst mich in Zeiten wie diesen. Was immer passiert ist, ich kann dir helfen. Ich kann meine Fehler berichtigen und es besser ma- chen.«
»Das glaubst du.«
»Du wirst verfolgt. Wir müssen dich aus dem Haus schaffen und ir- gendwo verstecken.«
»Müssen wir?«
Für das letzte Stück des Landeanflugs legte sich die Maschine in eine scharfe Linkskurve. »Wir tun, was du für richtig hältst«, sagte Sa- rah automatisch. »Alles wird gut.«
Der Steward erinnerte sie, die Rücklehnen senkrecht zu stellen und die Sicherheitsgurte anzulegen. Er trat heran und nahm die Wodkafla- sche. »Wünscht die Dame nach der Landung einen Rollstuhl?« »Danke, Madame wünscht keinen Rollstuhl«, antwortete Sarah. Kurz darauf rollte die Concorde an den Flugsteig. Sobald sie zum Stehen kam, trat Sarah in den Gang, um zu verhindern, dass sich an- dere Passagiere an ihnen vorbei drängten und den Weg zum Ausgang blockierten.
Soweit die Welt sehen konnte, traten zwei strahlend schöne junge Frauen aus dem Flugzeug, eine mit diskreter Aufmerksamkeit ihrer Freundin folgend, die, in Gold gefasste Smaragde um den Hals und einen breitkrempigen Philippe Model-Hut auf dem Kopf, aus ihren küh- len grauen Augen auf einen imaginären Punkt in der Ferne starrte. Die andere Frau mochte ihre etwas weniger wohlhabende Freundin sein, oder gar eine Sekretärin oder Bedienstete. Nichtsdestotrotz sah sie in ihrem maßgeschneiderten grünen peau-de-soie-Kostüm ebenfalls ganz und gar umwerfend aus.
Sie gingen mit der lässigen
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