Wicked - Die Hexen von Oz
aber vor Ãberraschung merkte er es gar nicht. Das musste sein Blut sein, dieser rote Spritzer auf der zurückzuckenden weiÃen Katze. Er sah, wie die Katze die Augen aufriss, zwei goldgrüne Monde, passend zur Jahreszeit, und dann sprang sie durch das offene Oberlicht und verschwand in der Winternacht.
Die jüngste Nonne war verpflichtet, zur Klostertür zu gehen, wenn während der Mahlzeit die Glocke läutete. Sie war gerade dabei, die Reste der Kürbissuppe mit Roggenröstbrot abzuräumen, während die anderen Nonnen schon feierlich gestimmt nach oben in die Kapelle strebten. Sie schwankte, bevor sie sich entschied, an die Tür zu gehen â drei Minuten später wäre auch sie in frommer Andacht versunken gewesen, und die Glocke wäre unbeachtet geblieben. Eigentlich hätte sie lieber das Geschirr schon einmal eingeweicht. Doch die Festtagsfreude drängte sie zu mildtätigem Handeln.
Als sie die groÃe Tür aufmachte, hockte in einer dunklen Ecke desPortals eine affenartig zusammengekauerte Gestalt. DrauÃen lieà der Schnee die Fassade der nahen St.-Glinda-Kirche ganz knitterig erscheinen, so dass sie wie eine Spiegelung im Wasser aussah, nur nicht auf dem Kopf stehend. Die StraÃen waren leer, und Chorgesang drang aus der von Kerzen erleuchteten Kirche.
»Was gibt es?«, fragte die Novizin, bevor sie daran dachte hinzuzufügen: »Fröhliche Lurlinalien wünsche ich.«
Als sie das Blut an den merkwürdigen grünen Handgelenken sah und einen Blick in die stechenden Augen tat, beschloss sie, dass der Feiertagsanstand es verlangte, die Fremde hereinzuholen. Doch sie hörte, wie sich die Schwestern in der kleinen Kapelle versammelten und wie die Mutter Oberin mit ihrem silberhellen Alt das Präludium anstimmte. Dies war das erste groÃe liturgische Fest, das die Novizin als Mitglied der Gemeinschaft erlebte, und sie wollte keine Sekunde verpassen.
»Kommen Sie rein, Sie Arme«, sagte sie, und die Fremde, eine junge Frau, höchstens ein oder zwei Jahre älter als sie, schaffte es mit Mühe, sich so weit aufzurappeln, dass sie gehen oder eigentlich eher humpeln konnte, als ob sie ein Krüppel wäre oder dermaÃen unterernährt, dass ihre Muskeln den Dienst versagten und ihre Beine jeden Moment umzuknicken drohten.
Die Novizin führte sie in einen Waschraum, um ihr das Blut von den Handgelenken zu spülen und sich zu vergewissern, dass es wirklich nur von einem Huhn stammte, das als Festtagsbraten geschlachtet worden war, und nicht etwa von einem Selbstmordversuch. Doch die Frau schreckte beim Anblick des Wassers zurück und sträubte sich so heftig, dass die Novizin es schlieÃlich aufgab. Stattdessen benutzte sie ein trockenes Handtuch.
Die Nonnen begannen oben mit den Wechselgesängen! Wie ärgerlich! Die Novizin entschied sich für die einfachste Lösung. Sie schleifte das Häufchen Elend in den Wintergarten hinunter, wo die dementen alten Muttchen dem Ende entgegendämmerten, diskret umgeben von Marginiumpflanzen, deren süÃer Duft die Gerüche des Alters und der Inkontinenz ein wenig überdeckte. Die Greisinnenlebten in ihrer eigenen Zeit und konnten ohnehin nicht mehr nach oben in die heilige Kapelle befördert werden.
»So, ich setze Sie jetzt hier hin«, sagte sie zu der Frau. »Ich weià nicht, ob Sie Zuflucht oder eine Mahlzeit oder ein Bad oder Vergebung suchen oder sonst etwas. Aber hier ist es warm und trocken und sicher und still, da können Sie sich erst mal ausruhen. Nach Mitternacht komme ich wieder. Heute ist Feiertag, nicht wahr? Gerade findet die heilige Vigil statt. Warten und hoffen Sie.«
Sie schob die Leidende in einen weichen Sessel und packte sie in eine Decke ein. Die meisten Alten schnarchten vor sich hin, den Kopf auf die Brust gesenkt, während Speichelfäden auf Lätzchen rannen, die mit grünen und goldenen Beeren und Blättern bestickt waren. Ein paar beteten ihren Gebetskranz. Der im Sommer offene Innenhof war jetzt im Winter mit Glasplatten umgeben, so dass er wie ein groÃes quadratisches Aquarium aussah, und der hineinrieselnde Schnee stimmte alle friedlich.
»So, hier können Sie den Schnee anschauen, weià wie die Gnade des Namenlosen Gottes«, sagte die Novizin, ihrer seelsorgerischen Pflichten eingedenk. »Denken Sie daran, und ruhen Sie sich aus, und schlafen Sie. Hier ist ein Kissen. Hier ist ein Hocker
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