Wicked - Die Hexen von Oz
Quellwasser, an den Hecken schäumend, am StraÃenrand gurgelnd, vom Hausdach auf die Efeu- und Schnurblumenranken triefend. Melena ging leichtgeschürzt im Garten umher, damit sie die Sonne auf der bleichen Haut fühlen konnte und die tiefe Wärme, die sie den Winter über entbehrt hatte. An ihren Stuhl im Eingang geschnallt schlug Elphaba, inzwischen anderthalb Jahre alt, mit dem Löffel auf ihren Frühstücksfisch ein. »Herrje, iss das Ding, zermansche es nicht!«, sagte Melena, aber milde. Seit dem Kind die Kinnschlinge abgenommen worden war, hatten Mutter und Tochter begonnen, sich gegenseitig eine gewisse Beachtung zu schenken. Zu ihrer Ãberraschung fand Melena Elphaba manchmal richtig liebenswert, wie ein Kleinkind eben sein sollte.
Das Einzige, was sich ihren Augen bot, seit sie den prächtigen Landsitz ihrer Familie verlassen hatte, das Einzige, was sie in diesem Leben geboten bekommen würde, war dieser Anblick hier: die windgepeitschte Fläche des Ãbelsees, die fernen dunklen Steinhäuser und Schornsteine von Binsenrain auf der anderen Seite, die träge dahinter liegenden Berge. Sie würde noch einmal verrückt werden; ihre Welt bestand nur aus See und Sehnen. Wenn eine Schar Elfen durch den Garten getollt käme, würde sie sich auf sie stürzen, um mitzutollen, mitzuvögeln, mitzumorden.
»Dein Vater ist ein falscher Hund«, sagte sie zu Elphaba. »Den ganzen Winter fort, um sich selbst zu finden, so dass du meine einzige Gesellschaft bist. Iss dein Frühstück, denn wenn du es auf den Boden wirfst, gibt es nichts anderes.«
Elphaba nahm die Elritze und warf sie auf den Boden.
»Dein Vater ist ein Scharlatan«, fuhr Melena fort. »Früher war er für einen Geistlichen sehr gut im Bett, und daher kenne ich sein Geheimnis. Heilige Männer sind angeblich über die irdischen Freuden erhaben, aber dein Vater hat seine mitternächtlichen Nahkämpfe genossen. Früher! Wir dürfen ihm niemals verraten, dass wir sein Theater durchschauen, es würde ihm das Herz brechen. Wir wollen doch nicht, dass ihm das Herz bricht, oder?« Melena brach in ein schrilles Gelächter aus.
Elphaba verzog keine Miene. Sie deutete auf den Fisch.
»Frühstück. Frühstück im Dreck. Frühstück für die Käfer.« Melena lieà den Kragen ihres Frühlingskleides ein bisschen tiefer sinken, und mit kreisenden Bewegungen lockerte sie ihre nackten rosigen Schultern. »Sollen wir heute am See spazieren gehen, und du ertrinkst vielleicht?«
Doch Elphaba würde niemals ertrinken, niemals, weil sie unter keinen Umständen nahe ans Wasser ging.
»Vielleicht fahren wir mit dem Boot hinaus und kentern!«, stichelte Melena.
Elphaba legte den Kopf schief, als lauschte sie auf einen Teil ihrer Mutter, der nicht von Blättern und Wein berauscht war.
Die Sonne strahlte hinter einer Wolke hervor. Elphaba zog ein finsteres Gesicht. Melenas Kleid rutschte tiefer. Ihre Brüste schoben sich zwischen den schmutzigen Rüschen des Kragens ins Freie.
Ich bin vielleicht eine, dachte Melena, zeige meine Brüste dem Kind, das ich aus Angst vor Verstümmelung nicht stillen konnte. Ich, die ich die Rose von Nestenhartung war, die Schönste meiner Generation! Und nun bin ich verurteilt zur Zweisamkeit mit meiner ungeliebten widerborstigen kleinen Tochter. Mit diesen knochigen kleinen Schenkeln, diesen hochgezogenen Augenbrauen, diesen grappelnden Fingern ist sie mehr Grashüpfer als Mädchen. Sie ist mit Lernen beschäftigt wie jedes Kind, aber sie hat keine Freude an der Welt: SiestöÃt und bricht und beiÃt an den Dingen herum, ohne sich daran zu freuen. Als ob es ihr aufgetragen wäre, alle Enttäuschungen des Lebens zu kosten und zu messen. Mit denen Binsenrain reich gesegnet ist. Der Namenlose Gott sei gnädig, sie ist ein Scheusal. Wirklich und wahrhaftig.
»Oder wir könnten heute einen Waldspaziergang machen und die letzten Winterbeeren pflücken.« Melena hatte Schuldgefühle wegen ihres Mangels an mütterlicher Zuneigung. »Wir können sie auf einen Kuchen tun. Sollen wir sie auf einen Kuchen tun? Sollen wir, Schätzchen?«
Elphaba konnte noch nicht sprechen, aber sie nickte und zappelte, weil sie hinunterwollte. Melena fing ein Klatschspiel an, auf das Elphaba nicht einging. Das Kind knurrte und zeigte auf den Boden und streckte die langen dünnen Beine, um sein
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