Wicked - Die Hexen von Oz
dass der Besen Mühe hatte mitzukommen. »Gut gemacht, Plapperaff. Es freut mich, dass nicht alle meine Bemühungen umsonst gewesen sind. Du bist also Dorothy, das Mädchen, das mit seinem Haus eine brutale Bruchlandung auf meiner Schwester gemacht hat!«
»Na ja, eigentlich war es gar nicht mein Haus, rechtlich gesehen«, sagte Dorothy, »und Tante Em und Onkel Henry hat es im Grund auch kaum gehört, höchstens vielleicht ein paar Fenster und der Schornstein. Es ist nämlich eine Hypothek der Landesbank für Handwerker und Bauern von Wichita drauf, deshalb sind die dafür zuständig. Also falls du mit jemandem in Kontakt treten möchtest. Das ist die Beraterbank«, setzte sie erklärend hinzu.
Eine eigentümliche Ruhe kam plötzlich über die Hexe. »Es ist mir gleichgültig, wem das Haus gehört«, sagte sie. »Tatsache ist, dass meine Schwester am Leben war, ehe du kamst, und jetzt ist sie tot.«
»Oh, das tut mir furchtbar leid«, sagte Dorothy nervös. »Ganz ehrlich. Ich hätte alles getan, um es zu verhindern. Ich weiÃ, wie schlimm ich es fände, wenn ein Haus auf Tante Em fallen würde. Einmal ist auf der Veranda ein Brett auf sie gefallen. Sie hatte danach eine groÃe Beule am Kopf und hat den ganzen Nachmittag Kirchenlieder gesungen, aber am Abend war sie wieder dieselbe schlecht aufgelegte Tante wie immer.«
Dorothy klemmte sich ihren kleinen Hund unter den Arm und ging zur Hexe hin und nahm ihre Hand. »Es tut mir wirklich sehrleid«, beteuerte sie. »Es ist schrecklich, jemanden zu verlieren. Ich habe meine Eltern verloren, als ich klein war, das habe ich nie vergessen.«
»Bleib mir vom Leib!«, sagte die Hexe. »Ich hasse Rührseligkeiten. Davon wird mir übel.«
Doch mit einer unbeholfenen Innigkeit hielt das Mädchen weiter ihre Hand fest und sagte nichts, wartete nur.
»Lass los, lass los!«, sagte die Hexe.
»Hast du deine Schwester sehr geliebt?«, fragte Dorothy.
»Darum gehtâs nicht.«
»Weil ich meine Mama sehr geliebt habe, und als sie und Papa auf dem Meer blieben, konnte ich es kaum ertragen.«
»Auf dem Meer blieben, was meinst du damit?«, fragte die Hexe und machte sich von dem klammernden Kind los.
»Sie waren auf dem Weg, meine Oma in der alten Heimat zu besuchen, weil sie im Sterben lag, und dann kam ein Sturm, und ihr Schiff kippte um und zerbrach und sank auf den Grund des Meeres. Und sie ertranken, alle Seelen an Bord.«
»So, sie hatten Seelen«, sagte die Hexe. Sie schauderte innerlich vor der Vorstellung eines ganz im Wasser versunkenen Schiffs zurück.
»Haben sie immer noch. Ich denke, das ist alles, was ihnen geblieben ist.«
»Fang bitte nicht wieder an, dich so an mich zu klammern! Und komm zum Essen!«
»Komm du auch«, sagte das Mädchen zum Löwen , und dieser stellte sich schmollend auf seine groÃen gepolsterten Pfoten und trottete hinterher.
Jetzt bewirten wir sie auch noch, dachte die Hexe finster. Soll ich vielleicht gar einen fliegenden Affen nach Rotmühlen schicken, damit er einen Geiger zur musikalischen Untermalung holt? Sie scheint mir eine sehr eigenartige Mörderin zu sein.
Die Hexe begann darüber nachzudenken, wie sie das Mädchen entwaffnen konnte. Doch sie konnte an ihr keine Waffen entdecken, höchstens ihre alberne Gutmütigkeit und sentimentale Ehrlichkeit.
Während des Essens fing Dorothy zu weinen an.
»Was ist, wäre ihr Käse doch lieber gewesen als Gemüse?«, fragte Ãmmchen.
Aber das Mädchen gab keine Antwort. Sie legte beide Hände auf die gescheuerte Eichenplatte, und ihre Schultern zuckten vor Kummer. Liir wäre am liebsten aufgestanden und hätte die Arme um sie geschlungen. Mit grimmigem Nicken befahl ihm die Hexe, sitzenzubleiben. Verärgert knallte er seinen Milchbecher auf den Tisch.
»Es ist ja alles sehr nett«, sagte Dorothy schlieÃlich, »aber ich mache mir solche Sorgen um Onkel Henry und Tante Em. Onkel Henry regt sich schon auf, wenn ich nur ein klein bisschen zu spät von der Schule komme, und Tante Em ⦠sie kann richtig böse werden, wenn sie nicht weiÃ, was los ist.«
»Alle Tanten sind böse«, sagte Liir.
»Iss!«, sagte die Hexe. »Wer weiÃ, wann du wieder etwas zu essen bekommst.«
Das Mädchen versuchte aufzuessen, aber brach immer wieder in Tränen aus. Irgendwann fing
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