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Wicked - Die Hexen von Oz

Wicked - Die Hexen von Oz

Titel: Wicked - Die Hexen von Oz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Maguire
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mich um meinen eigenen Kram kümmern, sag mir, ich soll mich verziehen, verpissen, los, sag es, aber erzähl mir nicht, dass nichts los ist. Ein so guter Lügner bist du nicht, und ich bin kein Idiot. Auch wenn ich ein verlebter Gillikinese von dekadentem Adel bin.« Seine Miene war sanft, und Boq war einen Moment in Versuchung. Er machte den Mund auf und überlegte, wie er es ausdrücken sollte, doch beim Klang der Glocken in den Ozma-Türmen, die zur vollen Stunde schlugen, ruckte Avarics Kopf kaum merklich in die Richtung. Seinem besorgten Gebaren zum Trotz war er doch nicht ganz bei der Sache. Boq machte den Mund wieder zu, überlegte noch ein bisschen und sagte: »Nenn es von mir aus munchkinsche Sturheit. Ich will dich nicht anlügen, Avaric, dafür sind wir zu gute Freunde. Aber es gibt im Augenblick nichts zu sagen. Und jetzt geh und amüsier dich. Aber pass auf dich auf.« Er wollte noch ein warnendes Wort zum Philosophischen Club hinzufügen, aber verbiss es sich. Wenn Avaric ärgerlich wurde, konnte Boqs Fürsorglichkeit das Gegenteil bewirken und ihn erst recht anspornen.
    Avaric trat auf ihn zu und küsste ihn auf beide Backen und die Stirn, eine Oberschichtsitte aus dem Norden, die Boq immer verlegen machte. Dann verschwand er mit einem Zwinkern und einer obszönen Geste.
    Von Boqs Stube aus hatte man einen Blick auf eine Kopfsteingasse, auf der Avaric und seine Kumpane jetzt davonsprangen. Boq stellte sich mit Abstand zum Fenster in den Schatten, doch das hätte er sich sparen können: seine Freunde dachten schon nicht mehr an ihn. Sie hatten ihre Prüfungen zur Hälfte hinter sich und durften jetzt zwei Tage verschnaufen. Nach den Prüfungen würden alle den Campus fluchtartig verlassen bis auf die wirklich Besessenen unter den Professoren und die ärmeren Jungen. Boq kannte das schon. Er fand es jedoch angenehmer zu lernen, als alte Handschriften mit einem fünfhaarigen Teckhaarpinsel abzustauben, eine Beschäftigung, der er den ganzen Sommer über in der Drei-Königinnen-Bibliothek nachgehen würde.
    Gegenüber verlief die Blausteinwand eines privaten Reitstalls, der zu einem Herrenhaus ein paar Straßen weiter an einem vornehmen Platz gehörte. Hinter dem Stalldach sah man die Wipfel einiger Obstbäume im Küchengarten des Grattler-Kollegs, und darüber leuchteten die Spitzbogenfenster der Schlaf- und Hörsäle. Wenn die Mädchen die Vorhänge zuzuziehen vergaßen – was erstaunlich häufig vorkam –, konnte man sie halb oder viertel entkleidet sehen.Selbstverständlich niemals am ganzen Leib nackt; in dem Fall hätte er ganz sicher weggeschaut, oder jedenfalls, sagte er sich streng, würde sich das so gehören. Aber das Weiß und Rosé der Unterhemden und Leibchen, die Rüschigkeit der Korsetts, die Schnüre der Turnüren und das Plusen um den Busen – das war, wenn sonst nichts, ein Aufklärungskurs in Damenreizwäsche. Boq, der keine Schwestern hatte, blickte gebannt.
    Der Schlafsaal im Grattler-Kolleg war gerade so weit entfernt, dass er die einzelnen Mädchen nicht erkennen konnte. Dabei war Boq ganz wild darauf, seinen Schwarm wiederzusehen. Verdammt und noch mal verdammt! Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Er würde abgehen müssen, wenn er die Prüfungen verpatzte! Er würde seinen Vater, den alten Bfie, enttäuschen und sein Dorf und die anderen Dörfer dazu.
    Verflixt und zugenäht! Das Leben war hart, und es gab noch andere Dinge als Gerstenanbau. Jäh entschlossen sprang Boq über die Fußbank, griff sich sein Studentencape und stürzte den Flur und die steinerne Wendeltreppe im Eckturm hinunter. Er konnte nicht mehr warten. Er musste etwas unternehmen, und gerade war ihm eine Idee gekommen.
    Er nickte dem diensthabenden Pförtner zu, wandte sich draußen im Eilschritt nach links und gab sich alle Mühe, in der Abenddämmerung den vielen Pferdeäpfeln auf der Straße auszuweichen. Da seine Kommilitonen auf Zechtour waren, würde er sich wenigstens vor ihnen nicht zum Narren machen. Es war keine Seele mehr im Brischko-Kolleg. Er bog links ab, dann noch einmal links, dann war er in der Gasse am Reitstall. Ein Stapel Klafterholz, die vorspringende Kante eines aufgetriebenen Fensterladens, der eiserne Tragarm einer Winde. Boq war klein, aber er war auch gelenkig, und fast ohne sich die Knöchel zu schrammen schwang er

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