Wicked - Die Hexen von Oz
Elphaba überlassen, ein- oder zweimal am Tag vorbeizuschauen. Boq ging davon aus, dass Muhme Schnapps Anfall vergehen würde. Doch nach drei Wochen lieà Madame Akaber erste besorgte ÃuÃerungen darüber hören, dass Elphaba und Glinda â nach wie vor Stubenkameradinnen â keine Anstandsdame hatten. Sie empfahl ihnen beiden den gemeinsamen Schlafsaal. Glinda, die nicht mehr allein zu Madame Akaber ging, nickte und wollte die Degradierung akzeptieren. Es war Elphaba, diesich eine Lösung einfallen lieÃ, hauptsächlich um einen letzten Rest von Glindas Würde zu retten.
So kam es, dass Boq zehn Tage später im Biergarten des Kollernden Truthahns saà und auf die Werktagskutsche aus der Smaragdstadt wartete. Madame Akaber hatte Elphaba und Glinda nicht erlaubt mitzukommen, und so musste er selbst herausfinden, wer von den sieben aussteigenden Fahrgästen Ãmmchen und Nessarose waren. Die Behinderung ihrer Schwester sei geschickt kaschiert, hatte Elphaba ihn wissen lassen. Nessarose könne sogar einigermaÃen elegant aus einer Kutsche steigen, sofern der Tritt fest und der Boden eben war.
Er erkannte sie auf Anhieb. Ãmmchen war rot und wabbelig wie eine Schmorpflaume, und ihre alte Haut sah aus, als wollte sie sich jeden Moment von den Knochen lösen, mit Ausnahme der Falten in den Mundwinkeln und der Wülste unter den Augen. Fünfzehn Jahre im hintersten Quadlingen hatten sie lethargisch, nachlässig und missmutig gemacht. In ihrem Alter hätte sie es verdient gehabt, in einem warmen Eckchen am Kamin vor sich hin zu dämmern. »Wie gut, einen kleinen Munchkin zu sehen«, murmelte sie Boq zu. »Wie in alten Zeiten.« Dann drehte sie sich um und rief in die dunkle Kutsche: »Komm, mein Püppchen!«
Wenn er nicht vorgewarnt gewesen wäre, hätte Boq Nessarose niemals für Elphabas Schwester gehalten. Sie war kein bisschen grün, nicht einmal blauweià wie vornehme Herrschaften mit schlechter Durchblutung. Nessarose stieg sehr umsichtig und behutsam aus und setzte dabei den ganzen Fuà gleichzeitig auf den eisernen Tritt, Ferse wie Zehen. Mit ihrem merkwürdigen Gang lenkte sie die Aufmerksamkeit auf ihre FüÃe, so dass man nicht auf den Oberkörper achtete, wenigstens anfangs.
Ein letzter fester Schritt, und Nessarose stand vor ihm, sichtlich um Gleichgewicht bemüht. Sie war, wie Elphaba gesagt hatte: atemberaubend, rosig, schlank wie ein Weizenstengel â und armlos. Das Institutstuch war so geschickt über die Schultern drapiert, dass es den Schreck etwas milderte.
»Hallo, mein Herr«, sagte sie und beugte ganz leicht das Haupt. »Die Koffer sind oben. Schaffen Sie das?« Ihre Stimme war so weich und schmeichelnd, wie Elphabas rauh war. Ãmmchen schob Nessarose sanft zu der Droschke hin, die Boq gemietet hatte. Er sah, dass Nessarose nicht gut gehen konnte, ohne eine stützende Hand im Rücken zu haben.
»Und jetzt muss das Ãmmchen auf die Mädchen aufpassen, solange sie studieren«, erklärte Ãmmchen Boq während der Fahrt. »Wo ihre selige Mutter schon seit vielen Jahren im nassen Grab liegt und ihr Vater nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Na, in der Familie waren sie von jeher helle, und solche Helligkeit geht bekanntlich gern in den leuchtenden Wahnsinn über. Der alte Herr, Eminenz Thropp, lebt immer noch und ist grundvernünftig wie ein alter Pflug. Hat seine Tochter und seine Enkeltochter überlebt. Elphaba ist die Thropp dritten Gliedes. Eines Tages wird sie das Amt übernehmen. Aber als Munchkin wissen Sie ja über solche Dinge Bescheid.«
»Ãmmchen, klatsche nicht, das tut mir in der Seele weh«, sagte Nessarose.
»Ach, mein Schönchen, hab dich nicht so. Der Herr Boq ist ein alter Freund, oder so gut wie«, sagte Ãmmchen. »In der Sumpfhölle von Quadlingen, mein Lieber, da ist uns die Kunst der Konversation abhanden gekommen. Da krächzen wir im Chor mit denen, die vom Froschvolk noch übrig sind.«
»Ich werde jetzt vor lauter Scham Kopfschmerzen bekommen«, behauptete Nessarose.
»Ich kannte Elphie, als sie noch ganz klein war«, sagte Boq. »Ich bin aus Binsenrain in Wederhartung. Ich muss Sie auch kennengelernt haben.«
»Im Allgemeinen habe ich es vorgezogen, in Kolkengrund zu wohnen«, sagte Ãmmchen. »Ich war die gröÃte Stütze der gnädigen Frau Partra, der Thropp ersten
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