Wicked - Die Hexen von Oz
gespielt haben?«
»Ich wüsste gern, wie Nessarose ist, und Krott«, sagte Glinda.
»Nessarose ist eine willensstarke Invalidin«, sagte Elphaba. »Sie ist sehr klug, und sie hält sich für heilig. Den Geschmack an Religion hat sie von meinem Vater geerbt. Sie ist nicht gut darin, für andere Menschen zu sorgen, weil sie niemals für sich selbst sorgen gelernt hat. Das kann sie nicht. Mein Vater verlangte von mir, dass ich sie betreute, fast meine ganze Kindheit über. Was aus ihr wird, wenn Ãmmchen einmal stirbt, weià ich nicht. Ich nehme an, dann werde ich wieder für sie sorgen müssen.«
»O je, was für eine grauenhafte Aussicht«, entfuhr es Glinda, bevor sie es verhindern konnte.
Doch Elphaba nickte nur grimmig. »Ich stimme dir voll und ganz zu«, sagte sie.
»Und Krott �«, fragte Glinda weiter, unsicher, welchen neuen Schmerz sie damit auslösen mochte.
»Ist männlich, weià und gesund«, sagte sie. »Er ist jetzt ungefähr zehn, denke ich. Er wird zu Hause sein und sich um unseren Vater kümmern. Er ist ein Junge, wie Jungen eben so sind. Vielleicht ein bisschen schwer von Begriff, aber er hat auch nicht die Vorteile genossen, die wir gehabt haben.«
»Als da wären?«, hakte Glinda nach.
»Wir hatten eine Mutter«, antwortete Elphaba, »wenn auch nur kurze Zeit. Eine flatterhafte, trinkende, phantasievolle, unsichere, verzweifelte, tapfere, hartnäckige, fürsorgliche Frau. Wir hatten sie. Melena. Krott hatte nur Ãmmchen als Mutterersatz. Sie hat ihr Bestes gegeben.«
»Und wen hat deine Mutter am liebsten gehabt?«
»Keine Ahnung.« Elphaba zuckte die Achseln. »Ich weià es wirklich nicht. Wahrscheinlich wäre es Krott gewesen, weil er ein Junge ist. Aber da sie gestorben ist, ohne ihn gesehen zu haben, hat sie nicht einmal diesen kleinen Trost gehabt.«
»Und dein Vater?«
»Oh, das ist einfach.« Elphaba sprang auf, schnappte sich ihre Bücher vom Bord und eilte zur Tür, womit das Gespräch beendet war. »Nessarose. Wenn du sie kennenlernst, wirst du verstehen, warum. Jeder hat sie am liebsten.« Mit einem kurzen Wedeln der grünen Finger flitzte sie aus dem Zimmer.
Glinda war sich nicht sicher, ob sie Elphabas Schwester am liebsten hatte. Nessarose wirkte sehr fordernd. Ãmmchen war überfürsorglich, und Elphaba schlug immer neue Verbesserungen an diesem und jenem vor, damit alles perfekt war. Ziehen wir die Vorhänge lieber nicht so weit auf, damit Nessaroses zarte Haut nicht zu viel Sonne abbekommt. Können wir die Ãllampe höherstellen, damit Nessarose lesen kann? Pssst, kein lautes Reden zu später Stunde, Nessarose hat sich hingelegt, und sie hat so einen leichten Schlaf.
Glinda war von Nessaroses auÃergewöhnlicher Schönheit ein wenig eingeschüchtert. Nessarose war immer stilvoll, wenn auch nicht extravagant gekleidet. Sie hatte jedoch eine Reihe kleiner Marotten â zum Beispiel Andachtsanfälle mit plötzlichem Kopfsenken und heftigem Blinzeln â, mit denen sie neugierige Blicke von sich abwehrte. Besonders rührend â und verunsichernd â war es, still vor sich hin rinnende Tränen abwischen zu müssen, die Folge einer tiefen Regung in Nessaroses reichem Innenleben, von der AuÃenstehende keine Ahnung haben konnten. Was sollte man dazu sagen?
Glinda zog sich nach und nach in ihre Studien zurück. Zauberei wurde von Frau Gräuling unterrichtet, einer dubiosen neuen Dozentin. Sie hatte zwar die gröÃte schwärmerische Hochachtung vor der Sache, aber, wie sich bald herausstellte, eine geringe natürliche Begabung. »Auf der elementarsten Ebene ist ein Zauberspruch nichts anderes als ein Verwandlungsrezept«, flötete sie ihnen vor. Doch als das Küken, das sie in einen Toast zu verwandeln suchte, stattdessen ein Haufen Kaffeesatz in einem Salatblatt wurde, fassten alle Studentinnen im Stillen den Vorsatz, niemals eine Einladung zum Essen bei ihr anzunehmen.
In der hintersten Reihe, wo sie sich als vermeintlich unsichtbareBeobachterin eingeschlichen hatte, schüttelte Madame Akaber den Kopf und schnalzte mit der Zunge. Ein- oder zweimal konnte sie sich nicht enthalten einzugreifen. »Ich verstehe ja nicht viel von der Zauberkunst«, beteuerte sie, »aber haben Sie nicht vielleicht die Zwischenschritte des Bindens und Ãberwindens ausgelassen, Frau
Weitere Kostenlose Bücher