Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
raus.“
„Und?“
„Und da sollte ich vielleicht mehr können als nur laufen.“
Ingo wartete.
„Sie werden die Fotostory bringen, Andrea hat sie ganz groß angekündigt. Gleich neben dem Artikel über Syra Teufelein, und die überblättert bestimmt niemand!“
Du bist erledigt!
„Ich bin erledigt.“
„Nun übertreib mal nicht. Bilder in Magazinen sind grundsätzlich nachbearbeitet, und wenn du Glück hast, erkennt dich kein Mensch.“
„Und wenn doch?“
Dann solltest du laufen …
Ingo stoppte das Band und zog mich hinter sich her zur Spiegelwand. Er stellte mich davor, was gar nicht einfach war, stocksteif wie ich mich anstellte, und breitete meine Arme aus. „Was siehst du, Yvi?“
„Windmühlenflügel“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Was noch?“
„Ein Großmaul, das seine vorlaute Klappe nicht halten konnte.“
„Willst du wissen, was ich sehe?“
„Nein“, log ich. Natürlich wollte ich wissen, was Ingo von mir dachte, ganz zu schweigen von dem, was er sah.
Er trat näher, bis seine Konturen hinter den meinen fast verschwanden. Fast, wohl gemerkt, denn obwohl ich mit 1,84 Metern nicht gerade klein bin, überragte er mich noch um einen halben Kopf, und hinter seinen Schultern hätte ich problemlos Verstecken spielen können. Entmutigt ließ ich die Hände sinken. „Wie groß bist du eigentlich?“
„Zwei Meter, fast. Aber wir reden jetzt nicht über mich.“ Entschlossen richtete er meine Schultern auf und ließ anschließend seine Hände darauf liegen. Sie fühlten sich warm und stark an, und ich wünschte, sie könnten dort bleiben.
„Ich sehe eine starke Frau, Yvi. Du bist groß, attraktiv und selbständig und brauchst dich vor niemandem zu verstecken. Immerhin lebst du seit Wochen mit zwei Teenagern und einem Baby zusammen, wovor hast du da noch Angst?“
„Dass die Leserinnen mich in der Luft zerreißen, wenn der Schwindel rauskommt“, piepste ich. Wo war sie nun, die große starke Frau?
„Warum sollten sie? Ich denke, dass die Ähnlichkeit zwischen dir und Thea kaum jemandem auffallen wird. Und falls doch, sagen wir einfach, es sei Zufall.“
„Und die anderen?“ Wir zwei waren ja nicht die einzigen in diesem Spiel. „Robert kennt zum Glück kaum jemand, aber Lotta hat einen regen Bekanntenkreis, Svenja geht seit einer Woche wieder zur Schule, und auf ihre Diskretion würde ich nicht wetten. Und Sascha …“ Ich schluckte. Zu Sascha gehörten Mareike, Julian und ihre haarige Gerüchteküche. „Oh je!“
Ingo hatte nicht zugehört oder teilte meine Bedenken nicht, zumindest war er in einem anderen Film. „Welche Farbe hat der Laufdress deiner Mutter?“
„Lottas Sportklamotten? Petrol, weil es Russisch-Grün nicht gab. Derzeit ist bei ihr alles grün, musst du wissen, und diese Phasen dauern eine Weile.“
„Dann verwirren wir die aufmerksamen Leser einfach mit deinem eigenen Stil. Bleib so stehen, ich bin gleich zurück.“
Zum Glück verzichtete Ingo auf Spielchen wie Augen zu machen und so, trotzdem gelang ihm die Überraschung.
„Die Lauf-Kombi!“ Begeistert nahm ich Top, Hose und leichte Jacke aus dem Karton. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass sie schon da ist! Woher weißt du überhaupt, dass Blau und Weiß meine Lieblingsfarben sind?“
„Manchmal redest du mehr, als dir lieb ist. Aber jetzt hör einmal auf damit und probier sie an.“
Ich hätte ihn küssen können, besann mich aber im letzten Moment und beließ es bei einer Umarmung. Wie hätte das auch ausgesehen? Die anderen Studiogäste schauten schon zu uns rüber und tuschelten, auf noch mehr Gerüchte hatte ich wirklich keine Lust.
Der Dress saß wie angegossen und ich begann mich zu fragen, wer ihn wohl ausgesucht hatte. Konnte es sein, dass hier ein Mann mit Geschmack vor mir stand? Oder gab es ein weibliches Wesen an seiner Seite, das heimlich die Hand über ihn hielt?
„Zufrieden?“, unterbrach er meine Überlegungen.
„Mehr als das. Was bekommst du dafür?“
„Nicht so viel, wie es wert ist. Betrachte es als Investition in deine Zukunft, schließlich kannst du weder Thekendienst machen noch Mitgliedsbeitrag zahlen, wenn sie dich lynchen.“
Lynchen?
„Ich liebe es, wenn meine Umgebung mich motiviert!“
Um die Stimmung im Volk auszuloten, musste ich mich wohl oder übel unter eben dieses mischen. Und welcher Ort wäre da besser geeignet als Mareikes Frisörladen, Budget hin oder her? Ich kratzte also das letzte bisschen Geld und Mut zusammen und
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