Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
hatte Ingo nur ein halbes Glas erlaubt, und so musste es viele kleine Schlucke lang halten. Hauptsache, die zwei wurden glücklich.
„Und wie geht es dir?“ Routiniert fanden Ingos Hände ihren Weg an Hals und Schultern und strichen die verspannten Muskeln glatt.
Ich schloss die Augen und ließ den Kopf nach hinten sinken. „Das ist schön, mach weiter.“
Seine Hände waren warm und ließen trotzdem Gänsehaut zurück. Leider blieben sie nicht am Hals sondern wanderten weiter bis zu den Stellen, an denen es schmerzte.
„Autsch!“
„Eiersalat, dachte ich mir‘s doch. Du hast wieder nicht gedehnt, Yvi.“
„Ich war einfach zu müde, wirklich.“
„Das darf dich aber nicht vom Dehnen abhalten. Was hast du sonst noch schleifen lassen?“
„Nichts, Herr Lehrer!“
Sein Mund kam näher, der Atem streifte mein Ohr. Ich reagierte mit Herzklopfen, gefolgt von ohrenbetäubendem Bienengesumm, ich konnte seine Worte kaum noch verstehen.
„Was hast du gesagt?“
„Dehnen hält deine Muskeln geschmeidig und verhindert, dass sie hart werden. Außerdem lenkt es dich ab.“
Wollte ich mich ablenken? Nein, wollte ich nicht. Was ich wollte war dermaßen weit weg von ablenken, dass es schon weh tat. Also schob ich seine Hände von meinen Schultern und öffnete die Augen.
„Ich möchte mich heute nur freuen, Ingo, hörst du? Kein Training, kein Unterricht und auch keine Massage. Es sei denn, sie ist einfach nur schön und nicht etwa gesund oder förderlich oder sonst etwas, das weh tut.“
Seine Finger strichen erneut über meinen Nacken und ließen eine brennende Spur zurück.
„Mehr!“, flüsterte ich.
„Ach – hieß es nicht gerade, ich soll aufhören?“
„Nur, wenn du einen auf Trainer machst. Ich möchte heute einfach nur glücklich sein, verstehst du? Nicht an morgen denken oder an übermorgen. Keine Angst haben, was wird, wenn die Hyänen über mich herfallen. Ich habe mir so viel Mühe gegeben, das alles zu vergessen, kannst du das nicht verstehen?“
Ingo verstärkte seine Massage und brummte etwas Unverständliches. Für mich hörte es sich an wie: Na dann viel Glück!
18
“Oh Gott! Sind wir hier bei Rock am Ring?“ Entsetzt starrte ich auf die vielen Menschen rund um den Waldparkplatz. „Wollen die etwa alle laufen?“
„Nicht alle“, lachte Ingo. „Die meisten sind Veranstalter, Presse, Angehörige oder Fans. Sei froh, dass das nur der Mülheim-Marathon ist, sonst könntest du hier alles mal zehn nehmen. Mindestens!“
In einem Anfall von Panik umschlang ich mich mit den Händen und erschrak über ihre Kälte.
„Was ist?“, fragte Ingo prompt.
„Kalte Hände.“
„Wie kalt?“
„Ich glaube, ich bin tot.“
Der blonde Riese griff nach meiner Hand, hauchte sie kurz an und achtete dann wieder auf den Weg. „Lampenfieber. Das gibt sich, wenn der Startschuss fällt.“
„Von wegen Fieber! Hundskälte sollte das heißen!“ Unruhig kreiste mein Blick über die Autos und Menschen, die sich rund um den Startplatz tummelten. „Ich muss mal, kannst du irgendwo anhalten?“
„Jetzt? Hat das nicht noch ein paar Minuten Zeit?“
„Sextanerblase!“
„Ach so.“ Ingo lenkte den Wagen nach links und hielt. Tatsächlich stand kurz dahinter ein grüner Toilettenwagen, halb verdeckt von einem riesigen silbergrauen Wohnmobil.
Ich schälte mich aus dem Auto und tippelte zur Warteschlange am Damen-Häuschen.
„Wir parken etwas weiter vorne“, erklärte Ingo wenig später.
Wieso war er schon wieder da? Ich sah mich um, konnte den blauen Kombi aber nicht entdecken.
Egal, lästerte Beelzebub . Hauptsache du findest ihn nachher, wenn die Meute dich verfolgt.
Ein Kombi ist zwar nicht Australien, aber besser als gar nichts, flötete Anni .
Wovor fürchtete ich mich eigentlich? Bei solchen Freunden brauchte ich vor Feinden nun wirklich keine Angst mehr zu haben.
Ingo lächelte sein nettes, aufrichtiges Jungenlächeln. „Ich geh dann mal die Startnummern besorgen. Hast du deine Anmeldung dabei?“
Irritiert suchte ich in meinem Watte-Hirn nach etwas, das sich so ähnlich anhörte. „Anmeldung? Welche Anmeldung?“
„Der Online-Ausdruck deiner Papiere. Du hast dich doch angemeldet, oder?“
Endlich spuckte mein Gedächtnis eine Antwort aus. „Das hat Andrea erledigt. Er sagte, ich brauche mich um nichts zu kümmern, er macht das alles.“
„Na wenn Andrea das sagt …“
Und wenn dein Latin-Lover dich durchschaut hat und auflaufen lässt?
Mal den Teufel
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