Wickelkontakt - Roman
eigenen Dreißigsten aber schon wie der Teufel das Weihwasser.
Mit dreißig ist man alt, hatte ich früher gedacht. Hilfe, ich bin dreißig, bitte helfen Sie mir über die Straße– jetzt war ich achtundzwanzig und hatte noch anderthalb Jahre Gnadenfrist. Um Jan, den ich auch flüchtig kannte, meine Anteilnahme auszudrücken, ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war, und Mona zu signalisieren, dass ich als beste Freundin natürlich weiterhin bereit war, die Nächte mit ihr durchzufeiern, schmiss ich mich in ein hübsches Partyoutfit mit einem schwarzen Holderneckteil und machte mich, wie mit Mona verabredet, um halb zehn auf den Weg ins Schanzenviertel. Mona kannte Jan aus einer Werbeagentur, in der sie während ihres Studiums ein Praktikum gemacht hatte. Damals war Jan ebenfalls Praktikant gewesen, hatte sich aber in den letzten fünf Jahren bis zum Geschäftsführer hochgearbeitet– dementsprechend groß sollte auch die Party werden, die in der Agentur stattfand.
Wir trafen uns vorm Eingang Ecke Schulterblatt/Max-Brauer-Allee, dort tummelten sich schon viele unterschiedlich alte Menschen in Anzügen, Kleidern, aber auch normalen Klamotten. Das zweistöckige backsteinrote Gebäude war von weißem Kies umgeben und wurde von hin und her schwenkenden Scheinwerfern angestrahlt. Es machte schon ordentlich was her, fanden wir. Für Anfang April war es jetzt auch wieder recht warm, so dass ich nur eine dünne Jacke dabeihatte und offene Schuhe trug. Mona umarmte zu unserer Linken und Rechten irgendwelche Leute, die ich nicht kannte, wir rauchten und standen eine Weile rum. Kurz hatte ich überlegt, ob hier wohl jemand aus dem Sender auftauchen würde, diesen Gedanken aber wieder verworfen. Hamburg ist groß, und die Mitarbeiter von Hanseradio besuchten nicht alle die gleichen Partys. Vermutlich würden heute eh alle noch in der Redaktion sitzen und Sekt trinken, wie es freitags üblich war, um das Wochenende einzuläuten.
In der Werbeagentur steuerten wir geradewegs auf Jan zu, der sehr enthusiastisch und anschaulich einer Menge Freunden erzählte, wie er der Tradition entsprechend mittags auf dem Rathausmarkt hatte » fegen« müssen, und gratulierten ihm zum Geburtstag. Woher der komische Brauch mit dem Fegen kam, wusste wohl niemand so genau, aber in Norddeutschland müssen Singles, früher nannte man sie » Junggesellen«, an ihrem dreißigsten Geburtstag vor dem Rathaus ihrer Stadt den Besen schwingen. Freunde und Verwandte sorgen für ausreichend Stroh, Kuhmist und/oder Konfetti, welches der arme Junggeselle, der vorher meistens schon ordentlich mit Kurzen abgefüllt wird, umständlich zusammenkehren muss. Das Ganze erschwert man ihm natürlich noch, indem man immer wieder neues Stroh, Kuhmist und/oder Konfetti auf den Marktplatz wirft. Erlösen kann ihn nur der Kuss einer Jungfrau– und die sucht man wohl in Hamburg zur heutigen Zeit vergeblich. Auch Jan war eine ganze Zeit lang nicht freigeküsst worden, erst nach drei Stunden hatten seine Freunde einer mitleidigen Passantin– einer Frau, die mit ihren zwei kleinen Kindern an der Alster Möwen füttern wollte– erlaubt, ihn auf die Wange zu knutschen. Dass sie offensichtlich keine Jungfrau mehr war, spielte nach drei Stunden Fegen und Trinken auch schon keine Rolle mehr. Nachdem er mit seiner Story fertig war, lag Mona ihm lange in den Armen– klar, er war ja immer noch betrunken, sie war wieder Single–, wer konnte es ihnen verdenken? Die Gruppe um das Geburtstagskind herum fing an sich zu zerstreuen, Mona und Jan hatten sich lange nicht gesehen und sich erst mal einiges zu erzählen, und ich checkte die Location. Die gesamte zweistöckige Agentur war als Party-Area eingerichtet, es gab zwei Dancefloors, einige Bars und viele loungige Sitzecken. In der Mitte führte eine breite Treppe nach oben, dort waren, wie ich an der langen Schlange von Frauen erkennen konnte, auch die Toiletten. Hip-Hop-Beats dröhnten durch die Räume, oben wurde, soweit ich wusste, eher Soul und Funk gespielt. So weit das Auge reichte, waren die Partygäste mit Getränken, guter Laune und gut sitzenden Outfits ausgestattet, und der Laden füllte sich weiter, ohne dass ich ein bekanntes Gesicht hätte ausmachen können.
Jan wurde schließlich von Freunden weggezerrt, so dass er von Mona ablassen musste, und ich war froh, wieder eine Ansprechpartnerin zu haben.
» Wollen wir uns mal was zu trinken holen?«, fragte ich, und wir begaben uns zu einer der Theken. Mona antwortete
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