Wickelkontakt - Roman
Kleides für eine Hochzeit zu helfen. So viel kann ich von hier hören.
Langsam lasse ich die Luft aus mir entweichen wie aus einem Ballon und sinke zitternd auf den kleinen Schemel, der in der Unkleidekabine in der Ecke steht. Auch das noch: Ich gehe das erste und einzige Mal in meinem Leben in einem Dicke-Leute-Laden einkaufen, und wer sieht mich dort, auch noch in Unterwäsche? Mein Exchef, Herr Kaiser. Nee, is klar.
Hoffentlich ist seine Frau bald fertig, und ich kann hier raus. Wollte mich ja nicht den ganzen Tag bei Ulla Popken in der Kabine verstecken! Einerseits könnte ich mich nun einfach anziehen und rausmarschieren, andererseits habe ich keine Lust, Herrn Kaiser und seiner Gattin noch mal über den Weg zu laufen. Anziehen ist an sich schon mal eine gute Idee, also schlüpfe ich in meine ausgeleierte Umstandsleggings, werfe mir T-Shirt und Strickjacke über und warte auf eine günstige Gelegenheit, die Anprobe unbemerkt zu verlassen.
Frau Kaiser kann sich nun aber anscheinend überhaupt nicht zwischen einem schwarz-weißen Ensemble aus Rock und Bluse und einem langen, weich wallenden Kleid in schreiend Pink entscheiden. Beide Stücke probiert sie ellenlang an, und zwar in der Kabine neben mir. Ihr Norbert, also mein Herr Kaiser, steht direkt davor und weiß, dass ich mich hier drin verstecke. Ich sehe seine Schuhspitzen, und er unterhält sich mit seiner Frau, als diese anscheinend stolz den ersten Fummel präsentiert.
» Oh, das sieht aber wirklich schön aus!« Herr Kaiser hört sich begeistert an. Ich bin so ungeheuer neugierig, was seine Frau da präsentiert, dass ich kurz überlege, mich hinzuknien und unter dem Vorhang durchzugucken… Es muss ja niemand merken. Nur ganz kurz. Zum Glück bin ich wenigstens nicht mehr halbnackt. Ich knie mich also umständlich auf den Boden der Umkleidekabine, lege den Kopf auf den zugegebenermaßen etwas speckigen Teppich und schiele in den Gang mit den Spiegeln. Frau Kaiser trägt das schwarz-weiße Kostüm, und tatsächlich, es sieht richtig schick aus.
» Frau Ahorn, kann ich noch etwas für Sie tun, brauchen Sie Hilfe?«, höre ich jetzt die Stimme der Verkäuferin. Ich rappele mich erschrocken auf, bevor die Dame wieder den Vorhang zur Seite zieht und stammele:
» Nein, nein… äh, danke, mir ist nur nicht besonders gut, ich dachte, ich setze mich mal einen Moment hin!«
Herr Kaiser lacht. Seine Frau auch. Ich weiß nicht, ob sie über mich lachen oder sich nur kurz einen Witz erzählt haben, jedenfalls habe ich weiterhin keine Lust, ihnen zu begegnen, anderseits will ich auch nicht mehr hier in der Kabine darauf warten, dass sie endlich den Laden verlassen.
Fieberhaft überlege ich, wie ich mit der Situation umgehen soll, als das Grübeln von selbst ein Ende findet.
Die Verkäuferin zieht nun doch schlichtweg den Vorhang auf, hält mir ein Glas Wasser entgegen und sagt: » So, bitte schön, vielleicht hilft Ihnen das.« Damit lässt sie die Kabine einfach offen stehen und mich auf dem Hocker sitzen.
Erschrocken halte ich wieder die Luft an, aber Herr und Frau Kaiser scheinen sich nicht die Bohne für mich zu interessieren. Die beiden sind vor dem großen Spiegel im Laden in die Kleideranprobe vertieft, zumindest Frau Kaiser, während ihr Mann aufmunternde Kommentare von sich gibt. Jetzt erst kann ich sie mir näher ansehen und stelle fest, dass sie zwar auch etwas mehr auf den Hüften hat, aber eine sehr hübsche Frau Mitte fünfzig ist. Das pinkfarbene Kleid steht ihr viel besser als das schwarz-weiße Kostüm, also sage ich es ihr kurzerhand:
» Ich würde dieses Kleid nehmen, es betont Ihre schöne Hautfarbe!«
Frau Kaiser schaut auf, sieht mich in der Anprobe auf dem Hocker sitzen und guckt etwas irritiert. Ich stehe auf, gehe mit meinem Glas Wasser in der linken Hand auf sie zu, strecke ihr die rechte entgegen und sage: » Hallo, Frau Kaiser, freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Sophie Ahorn und habe mal als Volontärin bei Hanseradio gearbeitet.«
» Oh, sehr erfreut«, antwortet sie lächelnd, und auch Herr Kaiser guckt amüsiert.
» Na, Frau Ahorn, geht es Ihnen besser? Entschuldigen Sie bitte, ich war so überrascht, da hatte ich vorhin Ihren neuen Namen vergessen«, erklärt er.
Von meiner Hinteransicht in der weißen Unterbüx ist keine Rede, und ich will hoffen, dass er nie wieder daran denkt.
Jetzt will ich aber nach Hause.
Meine neue Jeans, das Shirt und den BH trage ich zur Kasse, bezahle und verlasse hoch erhobenen Hauptes
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