Wickelkontakt - Roman
beruhigt sich kaum, wahrscheinlich übertrage ich meine Anspannung auf sie. Zitternd ziehe ich ihr eine neue Windel und den Body an und nehme sie dann auf den Schoß, um ihr endlich die Milch zu geben, nach der sie schreit. Ist halt Pech, dass sie ausgerechnet jetzt Hunger bekommt, aber so ist das eben mit Kindern. Maja hört auf zu weinen, als sie ihre Flasche erkennt, trinkt gierig, und ich beruhige mich auch endlich.
J. Berger sieht uns vorwurfsvoll an und sagt: » Ich würde Sie dann bitten, Ihr Kind nächstes Mal VOR oder NACH der Untersuchung zu stillen, wir haben ja hier auch einen Plan, an den wir uns halten müssen.«
Ich starre sie an und fühle mich wie bei Verstehen Sie Spaß?. Wo ist denn bloß die Kamera? Nur, dass ich es im Moment wirklich nicht witzig finde.
Leise und deutlich, um Maja nicht zu erschrecken, sage ich: » Erstens: Stille ich nicht, wie man sieht. Zweitens: Haben Sie selber Kinder?«
J. Berger ist mir in dem kleinen Untersuchungszimmer eindeutig zu nah. Dass wir uns nicht leiden können, lässt sich nun wirklich nicht leugnen. Ohne mit der Wimper zu zucken, sagt sie:
» Ich wüsste nicht, was Sie das angeht, aber Nein, ich habe keine Kinder.«
» Dann versuchen Sie doch mal später, Ihre Kinder nach Plan zu füttern, und dann sagen Sie mir bitte Bescheid, wie das geklappt hat!« Ich lächle sie künstlich an. Sie lächelt genauso künstlich zurück und erwürgt mich mit ihren Augen, bevor sie aus dem Raum geht. Endlich! So eine Schlange!
Als Maja fertig getrunken hat, sieht sie ziemlich erschöpft aus. Da nehmen wir uns beide nichts. Ich halte sie noch etwas im Arm, dann betritt der Arzt das Zimmer. Er ist jung, aber nicht zu jung, um ein guter Arzt zu sein, lächelt mich freundlich an und sagt sehr liebevoll zu Maja: » Na, wen haben wir denn da? Ist das eine süße Maus!« Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich kenne diesen Mann nicht und werde nie wieder hierher in seine Praxis kommen, das schwöre ich mir, aber im Moment ist er der einzige Halt, den ich habe. Schluchzend berichte ich ihm, dass seine Sprechstundenhilfe J. Berger sich wirklich unmöglich benommen und mich angemeckert hat und dass ich ja nichts dafür kann, wann Maja Hunger bekommt, und dass ich das blöd finde, wenn sie geimpft wird und Schmerzen hat, und dass ich eigentlich nicht so eine Heulsuse bin, aber eigentlich doch. Schnief.
Er sieht mich mitleidig an, reicht mir ein Taschentuch und sagt die Worte, die für jede Mutter die allerschönsten sind: » Sie machen das ganz toll mit Ihrer Tochter. Die kann froh sein, so eine fürsorgliche Mutter wie Sie zu haben.« Ich liebe ihn! Nein, ich liebe natürlich Jonas, aber dieser Arzt versteht sein Handwerk. Ohne zu zögern reiche ich ihm Maja, wische mir die letzten Tränen ab, lächele, und er fängt mit seiner Untersuchung an. Maja muss ein bisschen spucken, von der Milch, als Dr. Krause sie auf den Bauch dreht, aber ansonsten ist alles in Ordnung. Sie fängt sogar an zu lachen, als der Arzt mit ihr schäkert, und plappert munter vor sich hin. Im U-Heft wird eingetragen, dass sie gesund und munter ist, und dann dürfen wir die Praxis verlassen.
Mehr als zuvor freue ich mich jetzt auf unseren Urlaub an der Nordsee. Den haben wir uns wirklich verdient.
30
» Wie heißt unser Bundeskanzler?«, fragte Jonas mich einen Tag vor unserem Umzug, als wir die letzten Kartons in meiner Wohnung packten.
» Sehr witzig«, antwortete ich und schlug ihn leicht mit einer Fliegenklatsche, die ich in den Untiefen meiner Küchenschränke gefunden hatte. Was hier alles zum Vorschein gekommen war! Rigoros hatten wir ausgemistet und alles weggeworfen, wofür in der neuen Wohnung in der Himmelstraße, im neuen Leben, kein Platz sein würde. Und Gemüsebrühe, haltbar bis August 1999 , brauchten wir wirklich nicht.
» Was ist die Agenda 2010 ?«, löcherte Jonas weiter. » Wie setzt sich der Bundestag zusammen?«
» Ach, lass mich, ich weiß das alles, wenn’s drauf ankommt, aber jetzt kann ich es so schlecht erklären«, wand ich mich aus der Affäre. Natürlich wusste ich alles, unser Bundskanzler hieß Gerhard Schröder, die Agenda 2010 war sein Reformkonzept zur Verbesserung der deutschen Wirtschaft, und Entschuldigung, die Sitzverteilung der Parteien im Bundestag wusste ich mal gerade nicht auswendig. Wir hatten seit letztem Jahr eine rot-grüne Koalition, das zu wissen sollte ja wohl reichen.
Fünf Wochen hatten Jonas und ich meine Arbeits-Auszeit genossen,
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