Wickelkontakt - Roman
Küsschen, Küsschen, Hallo, Hallo!«, ruft Opa Klaus schon laut an der Tür, lange bevor wir aus dem Auto gestiegen und Reisebett, Wäschekorb mit Geschenken, Wäschekorb mit Majas Spielsachen, diverse Taschen mit dem Nötigsten und noch weitere Tüten mit allerlei Kleinkram in den schmalen Flur schieben können.
» Maja-Mausi!« Opa Klaus, der eine Weihnachtsmannmütze trägt, reißt mir das Kind auch schon begeistert vom Arm, kaum dass ich einen Fuß auf die Stufen des Mittelreihenhauses setzen kann. Maja-Mausi quittiert die Bemühungen ihres heiß geliebten Opas mit einem quietschenden: » Dada!«, zieht ihm strahlend die Brille vom Kopf und schleudert sie gekonnt in hohem Bogen auf den Plattenweg. Das heißt wohl bei ihr: » Ich hab dich auch lieb!«
Mich kneift sie inzwischen immer unsanft ins Gesicht, schnullert dagegen aber auch liebevoll an meiner Wange, wenn ich sie lasse. Diese ersten, zarten Sabberküsse werden mir ewig in Erinnerung bleiben. Einmal bekam ich sogar einen Knutschfleck auf der Wange, weil sie mich so abgesaugt hat. Wann Jonas das letzte Mal an mir geschnullert, geschweige denn mir einen Knutschfleck hinterlassen hat, weiß ich dagegen nicht mehr so genau. Äh, das muss… also warten Sie mal, da muss ich mal in meinen Kalender gucken. In den vom letzten Jahr, meine ich. Als Sex noch wild, leidenschaftlich und mit Knutschen verbunden war und nicht mit den Worten: » Machst du danach noch ein Fläschchen?« anfing.
Die Bescherung verläuft ohne Zwischenfälle. Maja ist erst so aufgeregt über all das bunte Geglitzer, dass sie quietschig und aufgedreht ist, pünktlich zum Weihnachtsessen fällt sie aber mit dem Kopf auf die Tischplatte, so dass ich sie für den Rest des Abends in ihr Reisebettchen lege.
Als wir in trauter Runde schließlich zusammensitzen– jeder glückselig über die Geschenke, den Abend, die Stimmung– kommt meine Schwiegermutter auf ein sehr unangenehmes Thema zu sprechen: unsere Häusersuche. In Ermangelung von ungefähr einer Million Euro müssen wir uns ja nach Häusern umsehen, die wir tatsächlich bezahlen können– und das schränkt die zur Auswahl stehenden Bauten dann doch erheblich ein, da sie selten unseren Ansprüchen genügen.
Als ich Jonas das erste Mal ernsthaft gefragt habe, ob wir nicht ein Haus kaufen wollen, war er von der Idee nicht ganz so begeistert, wie ich mir das vorgestellt hatte. Und über den Vorschlag, in einer rosa Traumvilla mit Türmchen an der Alster zu leben, hatte er sogar laut gelacht! Danach stellte ich mich stur und druckte ihm lediglich schöne Häuser in schicken und teuren Gegenden wie Hamburg-Alsterdorf und Winterhude von ImmobilienScout 24 aus, die ungefähr zehnmal zu teuer, aber wirklich wunderwunderschön waren. Jugendstil! Mit Garten! Und das mitten in der Stadt! Ein Traum! Würden wir uns auf die Suche von Häusern beschränken, die wir bezahlen können, würden wir ja irgendwo in einer Doppelhaushälfte bei Itzehoe oder Lüneburg landen. Jedenfalls ganz, ganz weit weg von Hamburg.
» Wir haben nämlich noch ein Weihnachtsgeschenk für euch«, sagt da mein Schwiegervater zu seinem Sohn. Wie, was hat das mit unserem Haus zu tun? Das versteh ich jetzt nicht, denke ich etwas skeptisch, rühre in den Resten meiner Walnusseiscreme herum und höre aufmerksam weiter zu.
» Wie ihr ja wisst, ziehen die Huberts nebenan aus…« Huberts sind die Nachbarn zur Linken, im Endreihenhaus. Herr und Frau Hubert sind beide ungefähr hundert Jahre alt, haben aber immer ihren Garten picobello. Mehr weiß ich nicht über das Paar, das Wissen fehlt mir aber auch nicht… Wie ich jetzt erfahre, wollen beide zusammen in ein betreutes Wohnheim umziehen und ihr Haus privat verkaufen.
» Und ratet mal, wer das Haus gekauft hat?«, fragt mein Schwiegervater mit vor Aufregung ganz roten Wangen. O nein. O nein, o nein! Die hatten doch nicht…? Ich wage den Gedanken kaum in Worte zu fassen… Ein HAUS gekauft? Für UNS? Direkt NEBENAN?? Ich wünsche mir eine Bodenklappe, in der ich augenblicklich verschwinden kann. Auch wenn dann alle oben stehen und nach mir rufen, könnte ich doch erst mal aus dieser schwierigen Situation entfliehen. Ich sehe mein Leben im Schnelldurchlauf an mir vorüberziehen: Mein erster Fasching im Kindergarten, ich lerne Fahrradfahren, mein Fahrrad wird einen Tag später geklaut, mein erster Schultag, meine erste Eins, meine erste Fünf, meine erste Ohrfeige, mein erster Freund, ich betrinke mich auf einer Party, mein Abi,
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