Wickelkontakt - Roman
Hochzeitstag am 5 . 5 . 2005 werden sie wohl nie vergessen, denn trotz des Feiertages waren viele Ämter in Hamburg und im südlichen Schleswig-Holstein bereit, die Türen zu öffnen, um die Verliebten zu vermählen. Persönlich kann ich nur sagen, dass es sich um den bemerkenswertesten, schönsten … Moment … äh … Tag meines … Entschuldigung …« Ich hatte alle Mühe, mein Stück vor der Kamera zu Ende zu sprechen, weil ich Sterne sah und mir die Galle hochkam. Ommmmmmmm, versuchte ich mich innerlich zu beruhigen und atmete tief durch.
Herr Pitzek war wirklich nicht gerade begeistert gewesen, als ich mich auf das schöne alte Parkett des Rathauses erbrochen hatte, und auch die älteren Damen in der ersten Reihe waren erschreckt aufgesprungen, soweit ihre Hüftgelenke das zuließen, aber inzwischen war mir schon alles egal. Ich musste nur irgendwie diesen Tag überstehen und mich dann um meine Magendarmgrippe kümmern– irgendwie musste ich mir etwas eingefangen haben. Aber bitte, sollte ich denn wirklich auch noch vor laufender Kamera kotzen? Schlimmer konnte es nun wirklich nicht kommen… Aber ja, so sollte es sein, das Universum hatte entschieden. Ich wurde leichenblass, ließ mein Mikro sinken und beugte mich dezent zur Seite, um mich geräuschvoll zu übergeben. » Bravo!«, rief jemand aus der Hochzeitsmenge, und einige klatschten. Mein Leben war die Hölle. Und das an meinem Hochzeitstag.
» Entschuldigung«, setzte ich meinen Beitrag tapfer fort und wischte mir mit dem Ärmel meines eh versauten Hochzeitskleides den Mund ab. » Also es ist eindeutig der bemerkenswerteste Tag meines Lebens. Ich bin sehr glücklich, heute geheiratet zu haben, und die Gäste sind sicher auch begeistert«, fügte ich schwach hinzu und deutete mit dem Arm auf Freunde und Verwandte, die sich rund um mich versammelt hatten. Ich hätte ja so glücklich sein können! Aber mir war einfach nur schlecht. Jonas wurde vor die Kamera gezerrt, und mit einem aufgeklebten Grinsen ließ ich über mich ergehen, dass wir mit Reis, der sich von oben durchs Kleid seinen Weg direkt bis in meine Unterhose bahnte, überschüttet wurden, dann erlosch endlich das rote Licht an der Kamera, und Ralf ließ das Gerät von seiner Schulter sinken. Grinsend hob er einen Daumen. Worte sind seins nicht.
Zitternd und mit weichen Knien ließ ich mir von meinen Kollegen die Kabel wieder abnehmen, hörte nicht zu, als Marciewski mich zur Rede stellte, suchte Jonas mit den Augen, fand ihn inmitten eines Pulks seiner hübschen, allesamt gesund aussehenden Theaterkolleginnen und zog ihn mit mir auf die Toilette.
» Ich schaffe das alles nicht«, sagte ich zu ihm. » Jonas, ich kann nicht mehr. Keine Ahnung, was los ist, aber ich will nur noch nach Hause, mir ist so unglaublich schlecht!«
Die letzten Worte brachte ich kaum heraus, da ich schon wieder nach einer Kotzgelegenheit suchte und mich in einen nahe stehenden Papierkorb übergab.
Jonas hielt mir die Strähnen nach hinten, die sich aus meiner hochgesteckten Frisur gelöst hatten, und als ich fertig war, nahm er ein Papierhandtuch, hielt es unter den Kaltwasserhahn und strich mir damit vorsichtig über Stirn und Gesicht. Das tat gut, auch wenn er mein Make-up damit ordentlich verwischte. Egal. Er sah aus, als überlegte er sich ebenfalls, wie es weitergehen könnte. » Wir müssen ja jetzt eh nach Harburg zur Kirche. Das schaffst du doch bestimmt noch! Aber was hältst du davon, wenn wir kurz zu Hause vorbeifahren, und du dir schnell was Bequemeres anziehst?«
Das klang wie ein guter Plan. Ich wollte mich nur noch auf jemanden verlassen und nicht mehr selbst für mich verantwortlich sein müssen. Am liebsten hätte ich mir zur Beruhigung den Daumen in den Mund gesteckt. Im Auto legte ich die Füße aufs Armaturenbrett, stopfte die Schleppe meines Brautkleides irgendwie unter und neben mich und ließ mich nach Hause fahren. Jonas hatte allen Bescheid gesagt, dass es jetzt zur Kirche ging, und ich hatte Marciewski versprochen, dass ich nach der Trauung wieder fit wäre und einen neuen Beitrag einsprechen könnte.
» Der Kunde tobt«, hatte ich nur zu hören bekommen. Ja, sollte er, das hier war mein großer Tag, und den würde ich schon irgendwie durchziehen.
Zu Hause schlüpfte ich aus dem acht Meter langen Kleid, ließ es im Flur liegen, dachte gar nicht erst daran, es zu säubern, denn es war einfach hinüber; löste meine diversen Haarnadeln, bürstete meine zerstrubbelten Extentions einmal
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