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Wider die Unendlichkeit

Wider die Unendlichkeit

Titel: Wider die Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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der seit Jahrzehnten nicht benutzt wurde, außer um seinem Vater bei den Männern Sidons eine gewisse Autorität zu verleihen – hatte den Moment vor der Hütte nie zu verstehen vermocht. Er hatte nur ein Prinzip gesehen, ein menschliches, daß Leben kostbarer als alles andere sei.
    Und Manuel hatte dem Colonel nie etwas anderes zu zeigen vermocht. Sie waren nicht mehr gemeinsam in die Wüste hinausgezogen. Dafür gab es keine Zeit. Die beiden hatten recht schnell gelernt, daß sie nicht länger in derselben Wohnung leben konnten, nicht einmal in derselben Siedlung. Die tränenreichen Versöhnungsversuche waren sämtlich fehlgeschlagen.
    So hatte Manuel schließlich ein Ende gemacht und war nach Hiruko geflüchtet. Hätte er an seine Karriere gedacht, wäre das ohnehin das Vernünftigste gewesen. Die meisten Leute hatten angenommen, er hätte nur seine Interessen verfolgt, da Sidons Handelstätigkeit abnahm und Anteile an der Siedlung nichts einbringen würden, solange die Dinge nicht wieder in Ordnung gebracht wären, was Jahre dauern würde. Öffentlich gab es keinen Grund, etwas anderes zu glauben. Keiner hatte zu irgendeinem Unbeteiligten über das Geschehen draußen im Lager gesprochen. Old Matt wurde ins Log als »Unfalltod in geistiger Verwirrung« eingetragen. Deshalb wußte niemand in der Menge am Grab, warum der Sohn nie mehr nach Sidon zurückgekehrt war. Sie beklagten den Colonel und die Ära, für die er in ihren Gedanken stand, aufrichtig. Das waren die harten Jahrzehnte des Kuppelbaus, der Dreifachschichten und grauenhaften Unfälle, des sauer verdienten, dem Lande abgerungenen Lohns.
    Jetzt befand sich der Colonel inmitten all der Kreuze und Engelstatuen, die Manuel durch ein neblig-trübes Licht betrachtete. Er hatte nicht bemerkt, daß sich in seinen Augen langsam Tränen gesammelt hatten. Und er sah nicht, wer ihn am Ärmel zupfte. Es war seine Mutter. Sie führte ihn, stumm und steifbeinig, ans Grab. Er nahm die Schaufel, die Major Sánchez ihm in die Hand drückte. Der Major stand kerzengerade und blickte Manuel besorgt an.
    Manuel bückte sich, nahm eine Schaufel voll Lehm und schüttete ihn ins Grab. Mit hohlem Geräusch traf er auf die Zellulose auf. In wenigen Tagen würde die Zellulose sich auflösen und möglich machen, daß der Körper in den satten Lehmboden einging. Innerhalb eines Jahres würde die langsame Abwärtsströmung des Kuppelbodens beginnen, das Material in die Terrassen und Farmkuppeln einzumischen. In den ersten Tagen der Siedlung hatten sie ihre Toten in Eis begraben. Die Wärme der Gebäude hatte allmählich leichte Rutsche verursacht, und manchmal waren die Leichen an die Oberfläche gekommen, unzerstört, unnatürlich, grotesk – die Haut straff gespannt und vom Eis geschwärzt, die Gesichter stumme, vorwurfsvolle Grimassen, Exilierte in einem fremden Land. Deshalb hatte die Siedlung, sobald sie es sich leisten konnte, eine Kuppel zur Aufbereitung ihrer Verstorbenen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus hatte sich das Bedürfnis nach Zeremonien angestaut, das die Menschen überallhin mitnahmen, so daß fast jedes Kreuz, jede Engelstatue eine Girlande aus Gras oder Blumen trug, die regelmäßig erneuert wurde. Jedesmal, wenn er sich aufrichtete, um den Lehm in das Loch zu werfen, sah er flüchtig diese farbigen Flecken zwischen den ausgebleichten Grabsteinen.
    Schließlich nahm ihm jemand die Schaufel aus der Hand. Er drehte sich um, ging zu seiner Mutter. Sie schritten durch einen trüben Gang, gesäumt von Gesichtern, die er kannte, aber seit Jahren nicht gesehen hatte. Als nächstes käme der kleine Empfang, die gemurmelten Gespräche mit den Verwandten, die Aufgabe, das Vermögen seines Vaters zu ordnen, und schließlich einige Tage mit seiner Mutter. Immer wenn er an sie dachte, spürte er einen Schmerz, aber er wollte sich ihrer Frage noch nicht stellen. Das würde er auch noch durchstehen, aber nicht jetzt.

 
3.
     
     
    Manuel schritt neben dem sich auftürmenden, eisengewebten Gebäude aus. Hoch über ihm filterte die Druckkuppel gelbes Sonnenlicht über die unregelmäßigen, schiefen Dächer der Häuser und Werkstätten. Ursprünglich war die Siedlung in streng geometrischer Anlage geplant worden, aber sobald die Familien sich einzelne Häuser leisten konnten, durchbrachen sie das Tortenstückmuster der Bezirke. Nahe des Zentrums waren die Straßen radial oder kreisförmig angelegt, aber weiter entfernt begannen sie, mandelförmig in Bögen und

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