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Wider die Unendlichkeit

Wider die Unendlichkeit

Titel: Wider die Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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hierher. Nicht aus eigenem Wunsch, sondern weil das Gemeinwohl entschied. Sie sind wie Priester, nicht Forscher. Priester.
    Sie offenbarten eine stoische, erbarmungslose Seite, die er noch nie gesehen hatte, eine Art träger Hinnahme. Auf gewisse Weise beneidete er sie darum, ohne selbst so sein zu wollen. Sie trennte einen von den schrecklichen Dingen, die in der Welt passierten.
    Aber – das fühlte er, ohne nachzudenken – sie legte auch etwas zwischen einen und die erhabenen, großartigen Momente. Das war ein hoher Preis.

 
2.
     
     
    Die Beerdigung fand in der ältesten Agro-Kuppel statt. Manuel wartete steif neben seiner Mutter und konzentrierte sich auf den schweren Moschusgeruch, der die Luft erfüllte und sich mit jedem Atemzug in seinen Lungen breitmachte.
    »Es ist hübsch«, sagte seine Mutter, »wie sie die Kuppel mit Blick über das Tal gebaut haben.«
    »Si, das ist es.« Er bohrte den Zeh in den tiefen Lehmboden. Die beiden standen ein wenig abseits von den übrigen Teilnehmern. Um sie herum standen wie ein Stoppelwald die Grabsteine von Arbeitern, die hoffnungslos von Maschinen zermalmt worden waren, von krebszerfressenen, zu spät behandelten Fällen, von Nomaden, die nicht rechtzeitig zu einer Einfrierstation gekommen waren, von mißgebildeten Kindern, die man nach der Geburt dem Tod überlassen hatte, von alten Männern, die nicht mehr zu reparieren gewesen waren. Und der Grabstein seines Vaters: Die Steinplatte mit den rauhen Kanten stand direkt vor ihnen auf der anderen Seite des offenen Grabes. Die flache Oberfläche war spiegelglatt, glänzte nach einem sorgfältigen E-Strahl-Schliff. Die gestochen scharfen Buchstaben würden der Welt für Jahrtausende verkünden, daß hier Überreste von Colonel Francisco Leon López lagen. Es schien absurd, einen solchen mathematisch exakten Tribut einem Mann zu zollen, der runzlig und ledrig gewesen war, der gelächelt und immer nach Schmutz und Schweiß gerochen hatte.
    Die Zeremonie war so schlimm gewesen, wie er gefürchtet hatte. Einige Verwandte waren gekommen, Leute, an die er sich von lang zurückliegenden Treffen an Sonntagnachmittagen erinnerte. Er erinnerte sich an sie: unbestimmte Erscheinungen, die Bier schlürften, während er draußen mit seinen Vettern spielte. Als er eintraf, waren sie schon bei seiner Mutter. Sie hatten sich bemüht, aus der Bestattung eine würdige, süßlich riechende Zeremonie zu machen, wie die, die er als Kind erlebt hatte. Er hatte nie eine bis zum Ende mitgemacht, denn er hatte immer herumgehampelt und geflüstert und mußte schließlich aus dem Raum geschickt werden. Diesmal ließ er die ganze Feier starrgesichtig über sich ergehen: erstickte Blumengebinde (ein seltener Anblick, ziemlich teuer – einige aus der Familie hatten Geld); Tanten in schwarzer Spitze, die beim Niederknien raschelte; Kerzen; glänzender Satin; Weihrauch; sogar ein Priester, von der Zanakin-Siedlung hergebracht, dunkelhäutig, rotnasig und vom Vormittagswein schwankend, mit fahrigen Bewegungen Weihwasser verspritzend.
    Jetzt der letzte Teil. Männer und Frauen aus Sidon bildeten die große Menge, ein wenig weiter entfernt als die Verwandten. Vier von ihnen trugen die Zellulosekiste nach vorn. Sie war braun poliert, wie Walnußholz. Der Priester sagte noch einiges. Manuel versuchte sich auf die Worte zu konzentrieren, aber das gleichmäßige Gemurmel entglitt ihm immer wieder, und schließlich streiften seine Augen über das Tal.
    Bergrutsche hatten einige Rohre verschüttet, doch sonst hatte das Beben Sidon nicht sonderlich in Mitleidenschaft gezogen. Die meisten Schäden hatte es im Süden gegeben. Die aufgerissenen Kuppeln auf geplatzten Schleusenreihen waren fast schon repariert. Die Magnetbahntrasse würde mehr Zeit erfordern. Er würde in Sidon bleiben müssen, bis der normale Verkehr wieder aufgenommen werden konnte.
    »… in den großen Lohn, den wir alle erhalten …«
    Manuel schloß seine Ohren und versuchte, an den Mann in der Zellulosekiste zu denken. Das war schwer, war die ganzen Jahre in Hiruko schwer gewesen. Seinen Vater schließlich als einen Mann zu sehen, der seinem eigenen Weg verschrieben war. Leidenschaften hatten zwischen den beiden gekocht, hatten sich schließlich ergossen und alles in der Familie bitter gemacht. Selbst er verstand es nicht völlig. Aber er wußte, daß es jetzt abgelegt werden mußte. Von nun an wäre es nur noch eine Bürde. Der Colonel – in Gedanken trug sein Vater immer noch den Titel,

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