Wider die Unendlichkeit
Netz nach unten. Sie kuppelten die Frachtwagen los. Die Strommonitore befanden sich unterhalb der Spur, und der Zugführer öffnete sie. Aufmerksam inspizierte er die Schalttafel und winkte die Arbeitsgruppe weg. Sie sammelte sich auf der anderen Seite der Trasse, entfernt von den schwankenden Waggons.
Manuel war müde und fühlte sich in dem schlecht passenden Energieanzug unbehaglich. Er setzte sich auf einen Felsbrocken, der von den Hügeln jenseits der Trasse herabgestürzt war. Der Bergrutsch hier war schlimmer, als er es je gesehen hatte. Er fragte sich, wo das Epizentrum gewesen war. Als Piet sich neben ihn setzte, sagte er nichts. Gemeinsam beobachteten sie die letzten Vorbereitungen.
»Meinen Sie, es funktioniert?«
»Müßte. Macht aber immer Probleme, mit so großen Magnetfeldern rumzubasteln.«
»Auf der Erde würden wir auf Hilfe warten.«
»Beim Warten könnten wir sterben.«
»Vermutlich.« Piet schien zweifelnd.
Der Zugführer stimmte sich mit Hiruko ab und rief eine Warnung über Komm. Viele wichen weiter von der Trasse zurück. Von dort, wo er saß, konnte Manuel die beiden Waggons kaum sehen, die, zur anderen Seite des Hangs geneigt, in der Luft schwebten. Ein Dutzend Meter entfernt sah er fünf Erdler, die, wie um Sicherheit zu suchen, eng zusammenhockten.
»Achtung! Fluxänderung von fünf Kilo-Gauß, Dauer zehn Sekunden. Eins, zwei, drei – jetzt!«
Der Impuls kam schwingend aus beiden Richtungen. Manuel sah, wie die Waggons von ihm zum Schwanken gebracht wurden, so daß sie wie Boote auf einer sanften Welle schaukelten. Die beiden Wellen trafen sich exakt in der Mitte des behelfsmäßigen Gestells.
Und die Frachtwaggons lösten sich drehend voneinander. Einer stürzte den entfernt liegenden Hang hinunter und war im Nu fort. Durch eine Gegenreaktion kippte der zweite rückwärts. Der silberfarbene Waggon prallte von einer unsichtbaren Strömung ab. Träge drehte er sich in den Feldern, überschlug sich langsam, dann schneller …
Manuel sprang auf. Der Waggon schoß wie ein Querschläger aus dem Magnetfeld heraus, fiel den Kieshang herab auf die Arbeitsgruppe zu. Das Feld ließ ihn endgültig los, er schlug auf, platzte, vergoß Kisten, rutschte über das Eis.
Für Manuel bewegte sich alles so langsam, als spielte sich die Szene unter Wasser ab. Die dünne Hülle des Waggons faltete sich, riß auf, die Kisten polterten heraus, und der Waggon rutschte über das Eis auf ihn zu, er kam auf die Füße, breitete die Arme aus, um die Balance zu halten, wartete auf den richtigen Moment … Der Waggon krachte in einen Felsen, zerriß in zwei Teile, platzte auf, schleuderte Kisten heraus, aber kam immer näher, jetzt eine Masse fliegender Bruchstücke, eine Mauer wie eine brechende Welle …
Manuel sprang. Er setzte volle Kraft ein und schoß fünfzig Meter hoch. Unter ihm sprangen auch die meisten anderen, erhoben sich über das Chaos. Nicht alle. Einige sprangen zur Seite. Aber einer – Manuel sah, wie eine Kiste eine Frau voll gegen die Brust traf, ihren Körper nach hinten schleuderte, über ihn hinwegrollte und schließlich an einer Erhebung im Eis zerbrach. Er veränderte die Einstellung seiner Gyros und kam nahe bei dem Körper herunter.
Sie war eine Erdlerin. Der Brustkorb war eingedrückt, ihr glasiger Blick starrte ins Nichts.
»Erika!« schrie Piet und kniete sich neben sie.
»Bringt sie in einen Med-Stabilisierer!« rief der Zugführer.
Inmitten der Schreie und Rufe sammelten Erdler sich schweigend. Jeder hob einen Teil ihres Gewichts. Sie hoben sie hoch und trugen sie an der langen Reihe des Waggons entlang zum Leitwagen, in dem sich die Med-Einheit befand. Manuel folgte ihnen. Er beobachtete die Erdler und lauschte ihrem leisen Murmelgesang, der schwach übers Komm kam.
Sie brachten sie in den Frierer, aber es sah nicht gut aus. Die Schädigungen waren beträchtlich. Sie war ziemlich schnell auf Ganymed-Temperatur abgesunken, und das war hilfreich, aber die organischen Schockwirkungen lagen auf dem Indikator fast ganz oben. Manuel musterte die Erdler, während sie das alles in der kleinen Kabine vorn im Zug erfuhren. Zusammen mit ihnen ging er zurück. Sie sagten wenig und wirkten nach außen nicht bekümmert.
Vielleicht behielten sie es für sich oder hatten es in ihren Jahren auf der Erde durch Übung verbannt, dachte er. Er stöberte in den Erinnerungen an seine Erziehung nach einem Vergleich. Mit einem milden Schock wurde ihm bewußt: Sie kamen aus Pflichtgefühl
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