Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Probleme. Er würde Magda von ihren Verpflichtungen entbinden und ihr erlauben, in die Berge zu fliehen und Kämpffer, den übrigen Nazis und der Eisernen Garde zu entkommen. Ja, Cuza hatte diese Möglichkeit in Erwägung gezogen. Aber es fehlten ihm die Mittel, sein Leben zu beenden – und auch der Mut.
Er wich dem Blick des Schattenwesens aus. »Vielleicht. Aber wenn ich mich nicht selbst umbringe, erledigt das Kämpffer in seinem Todeslager.«
»Todeslager?« wiederholte Molasar, beugte sich vor und runzelte die bleiche Stirn. »Ein Ort, an dem sich Menschen zusammenfinden, um zu sterben?«
»Nein. Ein Ort, an dem sie zusammengepfercht werden, damit man sie ermorden kann. Der Sturmbannführer will ein solches Lager ein paar Kilometer südlich von hier errichten.«
»Um Walachen zu töten?« In jäher Wut bleckte Molasar die Zähne. »Ein Deutscher hat die Absicht, Angehörige mei nes Volkes umzubringen?«
»Die betreffenden Personen gehören nicht zu deinem Volk«, erwiderte Cuza mutlos. Je mehr er darüber nachdach te, desto deprimierter und verzweifelter wurde er. »Es sind Ju den. Dir liegt vermutlich nichts an ihnen.«
»Überlaß die Entscheidung darüber mir! Juden? Es gibt keine Juden in der Walachei. Zumindest nicht viele.«
»Das mag so gewesen sein, als du die Feste erbaut hast. Aber in den letzten Jahrhunderten wurden wir zu Tausenden gezwungen, Spanien und andere Länder Westeuropas zu verlassen. Die meisten ließen sich in der Türkei, in Polen, in Ungarn und auch in der Walachei nieder.«
»›Wir?‹« Molasar sah ihn verwundert an. »Du bist Jude?«
Cuza nickte und rechnete fast damit, daß der Untote mit einer antisemitischen Hetzrede beginnen würde. Statt dessen sagte er: »Aber du bist auch ein Walache.«
»Die Walachei gehört inzwischen zu einem Staat namens Rumänien.«
»Namen verändern sich. Wurdest du hier geboren? Sind auch die anderen Juden, die in einem Todeslager umgebracht werden sollen, hier zur Welt gekommen?«
»Ja, aber …«
»Dann sind sie Walachen!«
Cuza spürte, daß Molasar allmählich unruhig zu werden begann. Dennoch entgegnete er: »Aber unsere Vorfahren waren Einwanderer.«
»Na und? Mein Großvater kam aus Ungarn. Bin ich deshalb kein Walache?«
»Doch, natürlich.« Dieses Gespräch hat keinen Sinn. Es führt zu nichts.
»Dann sind die Juden ebenso Walachen wie ich!« Molasar richtete sich zu seiner vollen Größe auf und straffte die Schultern. »Kein Deutscher kommt ungestraft hierher, um meine Landsleute zu töten!«
Typisch! fuhr es dem Professor durch den Sinn. Bestimmt hat er vor fünfhundert Jahren keine Einwände erhoben, als die anderen Lehensherrn hilflose walachische Bauern niedermetzelten. Und aus den von Vlad Tepes, dem Pfähler, angerichteten Massakern hat er sogar einen ganz persönlichen Vorteil gezogen. Ja, die walachische Obrigkeit hatte das Recht gehabt, die Bevölkerung zu knechten. Aber wehe, ein Ausländer wagt so etwas!
Molasar trat aus dem Lichtschein der Glühbirne und wich in die Schatten zurück. »Erzähl mir von den Todeslagern.«
»Lieber nicht. Es ist zu …«
»Erzähl mir davon!«
Cuza seufzte. »Na schön. Ich sage dir alles, was ich darüber weiß. Das erste wurde vor rund acht Jahren bei Buchenwald eingerichtet, vielleicht auch bei Dachau. Innerhalb kurzer Zeit folgten weitere, in Deutschland und Polen. Und jetzt soll auch eins in Rumänien entstehen – in der Walachei, wenn du diese Bezeichnung vorziehst. Sie dienen nur einem Zweck: der Aufnahme von Millionen als ›minderwertig‹ er achteter Menschen und ihrer systematischen Vernichtung.«
»Millionen?«
Cuza glaubte, Skepsis in Molasars Stimme zu hören. Er war nur noch ein Schemen in der Finsternis und gestikulierte aufgeregt.
»Ja, Millionen«, bestätigte der alte Mann.
»Ich werde diesen Sturmbannführer töten!«
»Das hat nur wenig Sinn. Es gibt viele andere Leute, die seinen Platz einnehmen können und ebenso grausam sind. Und wenn du versuchst, sie nacheinander umzubringen, set zen sie sich zur Wehr. Sie schaffen es vielleicht sogar, deine Existenz zu beenden.«
»Wer schickt jene Männer?«
»Ihr Anführer heißt Hitler. Er ist …«
»Ein König? Ein Fürst?«
»Nein …« Cuza suchte nach dem richtigen Wort. »Ich glaube, der Ausdruck Voevod wäre angemessen.«
»Ah! Ein Kriegsherr! Nun, wenn ich ihn töte, kann er niemanden mehr herschicken!«
Molasar sprach ganz ruhig, und Cuza brauchte eine Wei le, bis er die volle Bedeutung
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