Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Ploeşti ist der größte Eisenbahnknotenpunkt von ganz Rumänien. Damit eignet sich die Stadt bestens für ein Umsiedlungslager.«
Der Wehrmacht-Major hob ruckartig den Kopf. »Wie Auschwitz, meinen Sie?«
»Sie haben’s erfaßt. In diesem Zusammenhang kommt der Transportfrage eine große Bedeutung zu. Von Ploeşti aus bringen Züge Öl und Petroleum in alle Teile Rumäniens.« Kämpffer breitete die Arme aus. »Und wenn die Züge zurückkehren, werden die Waggons mit Juden, Zigeunern und dem anderen menschlichen Dreck, der sich in diesem Land breitgemacht hat, gefüllt sein.«
»Dies ist kein besetztes Gebiet! Sie haben nicht das Recht …«
»Der Führer möchte die ›unerwünschten Personen‹ in Rumänien nicht vernachlässigt wissen. Antonescu und die Eiserne Garde entfernen Juden aus wichtigen Positionen, aber Hitler hat weitaus ehrgeizigere Pläne. In der SS sind sie als ›rumänische Lösung‹ bekannt. SS-Reichsführer Himmler hat uns beauftragt, den rumänischen Verbündeten zu zeigen, wie man solche Dinge handhabt. Für diese Mission bin ich ausgewählt worden – als Kommandant des Lagers Ploeşti.«
Wörmann starrte Kämpffer entsetzt an.
»Wissen Sie, wie viele Juden hier in Rumänien leben, Klaus?« fuhr der Sturmbannführer mit fanatischem Eifer fort. »Siebenhundertfünfzigtausend. Vielleicht sogar eine Million! Hinzu kommen Hunderttausende von Zigeunern und Freimaurern. Und schlimmer noch: Mohammedaner. Insgesamt zwei Millionen Unerwünschte!«
»Wenn ich das vorher gewußt hätte …«, murmelte Wörmann mit gespielter Entrüstung. »Ich wäre nicht bereit gewesen, mich in ein Land versetzen zu lassen, in dem sich so viele Untermenschen herumtreiben!«
Diesmal nahm Kämpffer die Ironie zur Kenntnis. »Lachen Sie nur, Klaus – es ändert nichts an Ihrer Lage und nichts an der Zukunft. Ploeşti wird bald noch wichtiger sein als jetzt. Derzeit müssen wir die Juden den ganzen Weg von Ungarn nach Auschwitz bringen. Das kostet eine Menge Treibstoff, ganz abgesehen von den vielen Soldaten, die als Wächter und Zugbegleiter abgestellt werden müssen. Sobald ich das Lager in Ploeşti eingerichtet habe, sorge ich dafür, daß ein Großteil der Transporte hierher umgeleitet wird. Als Kommandant bin ich dann einer der wichtigsten Männer in der SS – im ganzen Dritten Reich! Ja, Klaus, wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
Wörmann schwieg. Ihm war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ganz im Gegenteil: Übelkeit stieg in ihm auf, als er sich vorstellte, welche Art von Grauen sich bald in Ploeşti ausbreiten würde.
Kämpffer setzte sich wieder in Bewegung und wanderte im Zimmer umher.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie malen«, sagte er und blieb an der Staffelei stehen. Einige Sekunden lang betrachtete er das Bild. »Wenn Sie den Ermittlungen in bezug auf die Todesfälle ebensoviel Zeit gewidmet hätten wie diesem makabren Gemälde …«
»Makaber! Was soll das heißen?«
»Der Schatten einer am Galgen hängenden Leiche – bezeichnen Sie so etwas als fröhlich?«
Wörmann stand auf und trat an die Leinwand heran. »Wovon sprechen Sie?«
Kämpffer streckte die Hand aus. »Das dort, an der Wand.«
Wörmann kniff die Augen zusammen. Zunächst fiel ihm nichts auf: Die Schatten an der Mauer bildeten vertraut wirkende, graue Muster. Es gab nichts, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit … Plötzlich stockte ihm der Atem. Links vom Fenster, durch das man den Ort auf der anderen Seite der Schlucht sehen konnte – eine dünne, vertikale Linie, darunter ein breiterer Schemen. Es war tatsächlich möglich, darin eine am Seil hängende Leiche zu sehen. Er erinnerte sich vage daran, sowohl die Linie als auch jenen Schatten gezeichnet zu haben – aber nicht mit der Absicht, die Kämpffer zu erkennen glaubte.
»Es kommt ganz auf das Auge des Betrachters an«, sagte er, nicht dazu bereit, der Interpretation des Sturmbannfüh rers zuzustimmen.
Kämpffer wandte sich von der Staffelei ab und wechselte das Thema. »Was für ein Glück für Sie, daß das Bild fertig ist. Nachdem ich mich hier einquartiert habe, bin ich sicher viel zu beschäftigt, um Ihnen zu erlauben, hierherzukommen und mit Ihren Pinseln zu hantieren. Malen Sie von mir aus weiter, wenn ich nach Ploeşti abgereist bin.«
Wörmann hatte eine solche Bemerkung erwartet und sich eine Antwort zurechtgelegt. »Mein Quartier steht Ihnen nicht zur Verfügung.«
»Irrtum, Klaus. Von jetzt an dient dieses Zimmer mir als Unterkunft. Vergessen
Weitere Kostenlose Bücher