Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
aufzufordern – aber so etwas hatte keinen Sinn. Diese Leute lebten nach ihrem eigenen Rhythmus, und der war erheblich langsamer als sein eigener.
Es lag noch immer ein weiter Weg vor ihm: rund vierhundert Kilometer nach Norden bis zum Donaudelta, dann noch einmal mehr als dreihundert nach Westen bis zum Di nu-Paß. Verdammter Krieg, dachte er. Unter anderen Umständen hätte ich einfach ein Flugzeug chartern können und das Ziel längst erreicht.
Was mochte im Paß geschehen sein? Wurde dort gekämpft? Die Radionachrichten meldeten keine militärischen Aktionen in Rumänien. Nun, es spielt keine Rolle. Irgend etwas ist passiert. Obwohl ich glaubte, alles auf Dauer geregelt zu haben.
Er verzog das Gesicht. Auf Dauer geregelt? Gerade er sollte wissen, daß es nichts Dauerhaftes gab.
Er hoffte inständig, daß die Zeit noch ausreichte.
13. Kapitel
Die Feste
Dienstag, 29. April • 17.52 Uhr
»Sehen Sie denn nicht, wie erschöpft er ist?« rief Magda. Ärger und Beschützerinstinkt hatten ihre Angst verdrängt.
»Es ist mir völlig gleich, wie es ihm geht«, erwiderte der SS-Obersturmbannführer namens Kämpffer. »Ich will von ihm alles über die Feste wissen.«
Die Fahrt von Campina zum Paß war wie ein Alptraum gewesen. Sie hatten auf der Ladefläche eines Lastwagens gehockt und waren dabei von zwei Soldaten bewacht worden. Theodor Cuza hatte sie als Angehörige von SS- Einsatzgruppen erkannt und seiner Tochter erklärt, was das bedeutete. Dadurch war ihre Abscheu den Männern gegenüber nur noch verstärkt worden. Die Uniformierten sprachen kein Rumänisch, sie machten sich nur mit groben Stößen und drohend erhobenen Waffen verständlich. Doch hinter ihrer routinierten Brutalität spürte Magda auch noch etwas anderes: Sorge, fast so etwas wie Angst. Sie schienen froh gewesen zu sein, den Dinu-Paß für eine Weile verlassen zu haben.
Vater Cuza nahm auf der schmalen Sitzfläche am Planenrand des Lkws Platz und litt bei jeder Erschütterung. Magda sah hilflos mit an, wie er die Zähne zusammenbiß, und hörte sein leises Stöhnen. Als der Wagen einmal anhielt, weil ein Ziegenkarren die Straße versperrte, half Magda dem alten Mann in den Rollstuhl. Die beiden SS-Soldaten brummten nur spöttisch, boten ihr aber keine Hilfe an.
Und schließlich – das Kastell.
Es hatte sich verändert. Als der Laster über die hölzerne Brücke rollte, konnte Magda noch nichts erkennen, aber als sie das Tor passierten, spürte sie eine unheilvolle Aura, eine seltsame Kühle, die sie schaudern machte und dunkle Vorahnungen hervorrief.
Auch ihr Vater fühlte es: Er hob ruckartig den Kopf, sah sich um und suchte nach der Ursache dieser sonderbaren Atmosphäre.
Die deutschen Soldaten wirkten außerordentlich nervös, und offenbar teilten sie sich in zwei verschiedene Gruppen: Die Angehörigen der einen trugen schwarze Uniformen, die der anderen graue. Zwei Männer der letzteren Einheit eilten sofort herbei, als der Lastwagen hielt, und winkten ungeduldig. »Aussteigen! Schnell!«
»Er kann nicht gehen«, erwiderte Magda auf deutsch und nickte in Richtung ihres Vaters. Er stand kurz vor dem Zusammenbruch.
Die beiden in Grau gekleideten Soldaten zögerten nicht. Sie kletterten auf die Ladefläche und trugen Theodor Cuza samt Rollstuhl auf den Hof.
»Hier stimmt irgend etwas nicht, Vater!« flüsterte Magda. » Spürst du es?«
Theodor neigte kurz den Kopf.
Im ersten Stock des Wachturms erwarteten sie zwei Männer, der eine in grauer Uniform, der andere in einer schwarzen. Sie standen an einem wackligen Tisch, über dem eine einzelne Glühbirne leuchtete.
Ein langer Abend begann.
»Zuerst einmal: Dieses Gebäude ist keine Feste im üblichen Sinn«, beantwortete der alte Professor die Frage des Sturmbannführers. »Es wurde nicht errichtet, um irgendwel che Feinde abzuwehren. Wir befinden uns hier in einem einzigartigen Bauwerk, und um ganz ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, wie man es bezeichnen soll.«
»Solche Dinge interessieren mich nicht!« knurrte der SS-Offizier. »Ich will von Ihnen etwas über den geschichtlichen Hintergrund des Kastells und über damit im Zusammenhang stehende Legenden hören.«
»Kann das nicht bis morgen früh warten?« warf Magda ein. »Mein Vater muß sich unbedingt ausruhen. Er ist kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen …«
»Nein! Wir müssen noch heute abend Bescheid wissen!«
Magda wandte den Blick von Kämpffer ab und musterte den Wehrmacht-Major namens
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