Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Wissen, daß die Nazis Lager einrichteten, um systematisch Hunderttausende von Juden umzubringen. Bisher beschränkte sich dieser Vernichtungsfeldzug gegen unschuldige Männer, Frauen und Kinder nur auf das nördliche Europa, aber bald kam auch Rumänien an die Reihe.
Himmel, er hat ein Recht darauf, verbittert zu sein! Auch ich habe ein Recht darauf. Es ist mein Volk, mein Erbe, das bedroht ist Und bald auch mein Leben.
Der Zug kam an einigen bunten Zigeunerwagen vorbei, und Magda sah Dutzende von Gestalten, die an einem großen Lagerfeuer saßen.
»Sieh nur«, sagte sie und hoffte, ihren Vater ein wenig aufmuntern zu können. Er mochte die Zigeuner.
»Ja«, brummte Theodor Cuza dumpf. »Sie sind ebenso zum Untergang verdammt wie wir.«
»Hör doch endlich auf damit, Vater …«
»Es ist wahr. Die Roma sind ein Alptraum für jede Autorität, und deshalb müssen sie eliminiert werden. Sie lieben Freiheit, Geselligkeit, fröhliche Lieder und den Müßiggang. Ihr Geburtsort ist der Fleck Erde, der sich bei der Niederkunft ihrer Mütter zufälligerweise unter dem Wagen befand. Sie haben keinen festen Wohnsitz, keine feste Arbeit. Und sie haben nicht einmal amtlich festgehaltene Namen, mit denen sie sich identifizieren lassen. Sie haben gleich drei: einen öffentlichen für die Gadscho , einen anderen, der nur von den Sippenmitgliedern benutzt wird, und einen geheimen, der ihnen bei der Geburt ins Ohr geflüstert wird, um den Teufel zu verwirren. Den Nazis sind sie ein Greuel.«
»Mag sein«, sagte Magda. »Aber was ist mit uns? Warum sind wir ihnen ein Dorn im Auge?«
Der alte Mann drehte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht kann niemand eine Antwort auf diese Frage geben. Juden leben in vielen Staaten der Erde als gute, anständige Bürger. Wir sind fleißig, fördern den Handel und bezahlen pünktlich unsere Steuern. Möglicherweise ist es schlicht und einfach unser Schicksal – eine Prüfung Gottes.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, irgendeinen Sinn darin zu erkennen, aber es gelingt mir nicht. Ebensowenig verstehe ich unsere erzwungene Reise zum Dinu-Paß. Dort gibt es nur die Feste, und warum sollten sich die Deutschen für so etwas interessieren? Sie hat doch nur historischen Wert.«
Schweigen folgte. Magda träumte mit offenen Augen – von einem attraktiven, liebevollen und intelligenten Mann, den sie irgendwann heiraten würde. Sie stellte sich Reichtum vor, jedoch nicht in Form von Schmuck und teurer Kleidung – in solchen Dingen sah Magda keinen Sinn –, sondern in Büchern und Kuriositäten. Sie lebten in einem großen Haus, das einem Museum ähnelte und vollgestopft mit Gegenständen war, die nur ihnen gefielen. Das Haus befand sich in irgendeinem fernen Land, in dem Frieden herrschte und es niemanden gab, der Juden haßte und ihnen nachstellte. Ihr Mann arbeitete als Gelehrter, und sie selbst erwarb sich einen guten Ruf als Expertin für Zigeunermusik. Natürlich gab es auch einen Platz für ihren Vater – und Geld genug, um die besten Ärzte und Krankenschwestern zu bezahlen.
Ein dünnes Lächeln umspielte Magdas Lippen. Sie wußte, daß es sich um kindische romantische Vorstellungen handel te, für die sie eigentlich zu erwachsen war. Sie mußten immer ein Traum bleiben. Inzwischen war sie einunddreißig, und die noch unverheirateten Männer ihrer Altersgruppe hielten sicher nach jüngeren Frauen Ausschau.
Es hatte einmal jemanden in ihrem Leben gegeben – Mi hail, einer von Theodors Studenten. Sie hatten sich beide zueinander hingezogen gefühlt, und vielleicht wäre es tatsächlich zu einer festen Bindung gekommen. Aber dann war Magdas Mutter gestorben, und Magda mußte sich um den Vater kümmern. Ihr war nicht mehr genug Zeit für Mihail geblieben.
Geistesabwesend betastete sie das schmale Gold am rechten Ringfinger. Ein Erbstück ihrer Mutter. Wie anders wäre jetzt mein Leben, wenn sie uns damals nicht verlassen hätte …
Ab und zu erinnerte sich Magda an Mihail. Er hatte inzwischen eine andere Frau geheiratet und drei Kinder.
Ich habe nur Vater.
Sie versuchte, diese Gedanken zu verdrängen und sich nicht zu sehr der Melancholie hinzugeben. Draußen wichen die Ebenen ersten Hügeln, und das Terrain stieg allmählich an, während sie sich Campina näherten. Als der kleinere Raffineriekomplex von Steaua in Sicht kam, half Magda ihrem Vater, den dicken Pullover anzuziehen. Anschließend band sie sich ein Kopftuch um und stand auf, um den Rollstuhl zu holen. Der
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