Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Wörmann, der bisher geschwiegen hatte. Als sie in seine Augen sah, erkannte sie die Angst, die ihr schon bei den anderen Männern aufgefallen war.
Angst wovor? fragte sie sich verwirrt.
»Worüber?« brachte der alte Mann hervor. »Worum geht es Ihnen?«
Wörmann räusperte sich. »Professor Cuza, wir sind inzwischen eine Woche hier, und in dieser Zeit wurden acht Männer ermordet.« Kämpffer bedachte den Major mit einem finsteren Blick, aber Wörmann beachtete ihn nicht. »Ein Toter pro Nacht. Mit nur einer Ausnahme: Gestern wurden gleich zwei umgebracht.«
Die Lippen des kranken Mannes zitterten, als er zu einer Erwiderung ansetzte. Magda hoffte, daß er sich zu keiner abfälligen Bemerkung hinreißen ließ, die von den Deutschen als Beleidigung aufgefaßt werden konnte. Sie beobachtete, wie ihr Vater kurz zögerte. Dann sagte er: »Ich habe keine politischen Beziehungen und weiß nicht, welche Widerstandsgruppen in dieser Region aktiv sind. Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Wir sind davon überzeugt, daß keine politischen Aspek te im Spiel sind«, bemerkte Wörmann.
»Was dann? Wer steckt hinter den Morden?«
Die Antwort darauf schien Wörmann nicht gerade leichtzufallen. »Wir wissen nicht einmal, ob jemand dafür verantwortlich ist. Vielleicht sollten wir nicht ›wer‹, sondern eher ›was‹ fragen.«
Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, und Magda sah, daß sich der Mund ihres Vaters zu einem kleinen O formte. Seine Art zu lächeln.
»Glauben Sie etwa, daß Sie es mit einer übernatürlichen Erscheinung zu tun haben, meine Herren? Einige von Ihnen wurden getötet, und weil Sie weder den Täter finden können noch annehmen wollen, daß Ihre Kameraden den Anschlägen von Partisanen zum Opfer gefallen sind, suchen Sie nach einer geheimnisvollen Ursache. Wenn Sie wirklich meine Meinung …«
»Schweigen Sie, Jude!« fauchte der Sturmbannführer, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze. »Es gibt nur einen Grund dafür, warum ich Sie und Ihre Tochter nicht sofort an die Wand stellen und erschießen lasse: Sie kennen diese Gegend und sind ein Fachmann für rumänische Volkskunde. Wie lange Sie am Leben bleiben, hängt ganz davon ab, ob Sie sich als nützlich erweisen können.«
Theodor Cuzas Lächeln verflüchtigte sich schlagartig. Daß seine Tochter bedroht wurde, wirkte.
»Ich werde mir alle Mühe geben«, sagte er ernst. »Aber zuerst sollten Sie mir erzählen, was hier geschehen ist. Vielleicht bin ich dann in der Lage, Ihnen eine realistische Erklärung anzubieten.«
»Das hoffe ich für Sie.«
Wörmann berichtete von den beiden Gefreiten, die im Keller ein goldenes Kreuz gefunden und an der betreffenden Stelle die Wand durchbrochen hatten, und von dem schmalen Schacht, der in eine dunkle Kammer führte. Er erwähnte den Einsturz der Mauer, die Höhle unter dem Kellerboden und das Ende der beiden Soldaten und ihrer Gefährten. Er schilderte auch die lichtschluckende Finsternis, die er vor zwei Nächten am Hofrand gesehen hatte, und beschrieb die beiden toten SS-Männer und ihre Wunden. Er betonte, sie seien als Leichen durch den Korridor in Kämpffers Zimmer marschiert.
Magda war entsetzt. Unter anderen Umständen hätte sie vielleicht darüber gelacht, aber die düstere Atmosphäre in diesem Gemäuer und die grimmigen Gesichter der beiden deutschen Offiziere sprachen Bände. Es lief ihr kalt über den Rücken, als sie einmal mehr an ihre Vision von einer Reise nach Norden dachte: Etwa zu jenem Zeitpunkt mußte der erste Mann im Kastell gestorben sein.
Überrascht stellte sie fest, daß sich die Züge im Gesicht ihres Vaters veränderten, während er Wörmanns Vortrag lauschte. Seine Erschöpfung wich allmählichem Interesse, und als der Wehrmacht-Major schließlich schwieg, wirkte Theodor nicht mehr wie ein todkranker Mann, sondern er war wieder der Universitätsprofessor Cuza, Experte in rumänischer Geschichte. Er dachte gründlich nach, bevor er antwortete.
»Die offensichtliche Schlußfolgerung lautet folgendermaßen: Als die beiden Soldaten die Kellermauer durchbrachen, setzten sie irgend etwas frei. Meines Wissens ist bis vor einer Woche niemand in der Feste gestorben. Andererseits sind hier auch noch nie fremde Soldaten stationiert gewesen. Ich würde weiterhin von der Annahme ausgehen, daß rumänische Patrioten …« – Theodor betonte dieses Wort –, »… für die Todesfälle verantwortlich sind – wenn nicht die Ereignisse der beiden vergangenen Tage
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