Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
daran zu hindern, noch einmal zuzuschlagen?«
Oster runzelte die Stirn. »Keine Ahnung, Herr Major. Die Soldaten – meine Männer, unsere –, sind fest davon überzeugt. Immerhin hatten wir bisher nach jeder Nacht einen Todesfall zu beklagen. Und die Juden sind gestern abend eingetroffen. Vielleicht haben sie irgend etwas in den Bü chern gefunden …«
»Ja, vielleicht.« Er betrat die hintere Sektion der Feste und stieg die Treppe hinauf.
Eine interessante Annahme. Aber eher unwahrscheinlich. Der alte Jude und seine Tochter können noch nichts ent deckt haben, nicht innerhalb von wenigen Stunden. Der »alte Jude«. Er begann bereits damit, in Kämpffers Begrif fen zu denken.
Wörmann schnaufte und rang nach Atem, als er zusammen mit Oster die zweite Etage erreichte. Ich bin überhaupt nicht mehr in Form, warf er sich stumm vor. Ich sitze zu lange herum und grüble, anstatt mich zu bewegen und etwas für meine Kondition zu tun.
Die Tür schwang auf, bevor er eine Gelegenheit bekam, nach der Klinke zu greifen.
»Ah, Klaus«, sagte Kämpffer großspurig. »Ich dachte mir schon, jemanden gehört zu haben.« Er rückte sich den schwarzen Offiziersgürtel zurecht und klopfte auf sein Holster.
»Es freut mich, Sie wohlauf zu sehen«, erwiderte Wörmann.
Der Sturmbannführer bemerkte die Ironie und kniff die Augen zusammen. Er musterte erst den Wehrmacht-Major und sah dann Oster an.
»Nun, Feldwebel? Wer hat in der vergangenen Nacht dran glauben müssen?«
»Bitte?«
»Wer ist diesmal ermordet worden? Einer von meinen Leuten? Oder von Ihren? Ich möchte, daß der Jude und seine Tochter zu der Leiche gebracht werden, daß sie sich den Toten genau ansehen und …«
»Ich bitte um Verzeihung, Herr Sturmbannführer«, warf Oster ein. »Es ist niemand gestorben.«
Kämpffer hob die Brauen und wandte sich an Wörmann.
»Niemand? Stimmt das?«
»Feldwebel Osters Auskunft genügt mir.«
»Dann haben wir’s geschafft!« entfuhr es dem SS-Offizier. Er schlug sich mit der Faust auf die flache Hand. »Wir haben es geschafft !«
»›Wir‹?« wiederholte Wörmann und lächelte dünn. »Außerdem: Was haben ›wir‹ geschafft?«
»Eine Nacht überstanden, ohne daß es zu einem weiteren Todesfall kam! Ich wußte ja, daß wir dem Mörder einen Strich durch die Rechnung machen können!«
Wörmann nickte langsam und wählte seine Worte mit besonderer Sorgfalt. »Nun, da Sie offenbar so genau Bescheid wissen … Wie wär’s, wenn Sie mich an Ihrer Weisheit teilhaben lassen? Was hat uns während der letzten Nacht geschützt? Ich möchte ganz sicher sein, keinen Punkt zu übersehen, damit wir heute abend genau die gleichen Schutzmaßnahmen ergreifen können.«
Das versetzte Kämpffers arroganter Selbstsicherheit einen harten Schlag. »Ich schlage vor, wir sprechen mit dem Ju den.« Er schob sich an Oster und Wörmann vorbei und ging forsch die Treppe herunter.
»Früher oder später mußten Sie auf diesen Gedanken kommen«, sagte Wörmann und folgte ihm etwas langsamer.
Als sie den Hof erreichten, hörte der Major die Stimme einer Frau im Keller. Die Worte verstand er zwar nicht, aber der Tonfall genügte. Er brachte zornige Empörung und auch Angst zum Ausdruck.
Wörmann stürmte zum Kellerzugang, und kurz darauf fiel sein Blick auf die Tochter des Professors. Sie stand an der Wand, mit aufgerissenem Pullover und zerfetzter Bluse. Ein schwarzgekleideter Angehöriger der Einsatzgruppe preßte den Kopf zwischen die weißen Brüste, und Magda versuchte vergeblich, sich aus dem Griff des lüsternen Mannes zu befreien.
Wörmann war einige Sekunden lang wie erstarrt. Dann kochte er vor Wut und sprang die letzten Stufen der Treppe hinunter. Der SS-Soldat hatte nur noch Augen für die Brüste und bemerkte den Major gar nicht. Wörmann biß die Zähne zusammen, ballte die Faust und rammte sie dem Burschen mit aller Kraft in die Seite. Er genoß es, einen von Kämpffers Mistkerlen zu verprügeln und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, ihn zu treten.
Der SS-Mann gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich, stemmte sich wieder in die Höhe und holte aus, zögerte aber, als er begriff, daß ein Offizier vor ihm stand. In seinen Augen blitzte es, und er schien zu überlegen, ob er sich zur Wehr setzen sollte.
Wörmann sehnte fast einen Angriff des Gefreiten herbei und beobachtete den Mann aus zusammengekniffenen Augen – die rechte Hand auf dem Kolben der Luger. Er hätte sich niemals für fähig gehalten, auf einen
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