Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Wenigstens wußte sie jetzt, wie es den Nazis gelungen war, eine Verbindung zwischen der Feste und ihrem Vater herzustellen. Und Iulius Geständnis erklärte auch sein unterwürfiges Verhalten ihr gegenüber.
Der Wirt musterte sie unsicher. »Hassen Sie mich jetzt?«
Magda beugte sich vor und legte ihm die Hand auf die fleischige Schulter. »Nein. Sie haben es sicher nicht böse gemeint.«
Iuliu berührte ihre Finger. »Ich hoffe, daß alles gut für Sie ausgeht.«
»Dem kann ich mich nur anschließen.«
Magda verließ die Herberge und wandele über den Pfad, der an der Schlucht entlangführte. Der Kies knirschte unter ihren Schritten, und feuchtkalte Luft wehte ihr entgegen. Hinter einem blühenden Busch rechts neben der Brücke blieb sie stehen und zog sich die Jacke enger um die Schultern. Es war Mitternacht, kühl und dunkel. Aber sie fror nicht nur aufgrund der niedrigen Temperatur. Hinter ihr erhob sich das Gasthaus – nur einer der vielen Schatten. Auf der anderen Seite der Schlucht ragten die Mauern der Feste empor, und helles Licht leuchtete aus vielen Fenstern. Nebel kam auf und schmiegte sich um die granitenen Wände.
Magda bekam Angst, als sie das alte Kastell ansah.
Gestern nacht … Die Gefahren, mit denen sie tagsüber konfrontiert worden war, hatten sie den Schrecken der vergangenen Nacht vergessen lassen. Aber die Finsternis brachte das Grauen zurück: schwarze Augen und eine eisige Hand, die sich um ihren Arm schloß. Dort zeigte sich noch immer ein hellgrauer Fleck, wie eine Narbe. Sie hatte vergeblich versucht, ihn abzuwaschen: Die Haut an dieser Stelle wirkte wie abgestorben. Und dieses Mal war ein deutlicher Beweis dafür, daß es Magda nicht geträumt oder eine unheilvolle Vision gehabt hatte. Ich bin einem Geschöpf begegnet, von dem ich bisher glaubte, daß es nur in Sagen und Legenden vorkommt. Aber es ist Teil der Wirklichkeit. Und es schleicht dort drüben durch die Feste, in der sich auch mein Vater befindet.
Magda erschauerte.
Sie drehte den Kopf, als sie den Hufschlag hörte. Ein Reiter sauste an der Herberge vorbei und näherte sich der Brücke, offenbar in der festen Absicht, sie sofort zu überqueren. Aber im letzten Augenblick zog er die Zügel an. Magda sah die Konturen am Rande der Schlucht und bemerkte einen langen, flachen Kasten an der rechten Flanke des Pferdes. Der Reiter stieg ab, ging zögernd über die Planken und blieb nach einigen Metern stehen.
Die junge Frau duckte sich hinter den Busch und sah, daß der Fremde das Kastell musterte. Sie wußte nicht so recht, warum sie sich versteckte. Vielleicht lag es an den Erfahrungen der letzten Tage, daß sie mißtrauisch gewor den war.
Der Mann war hochgewachsen und muskulös, und dichtes, rötliches Haar fiel ihm in die Stirn. Er atmete rasch, aber gleichmäßig. Magda sah, daß er den Kopf von einer Seite zur anderen drehte und den Blick über die Feste schweifen ließ. Offenbar galt seine Aufmerksamkeit den Wachen, die auf den Wehrgängen patrouillierten. Vielleicht zählte er sie. Die Haltung des Unbekannten drückte eine gewisse Anspannung aus; nur mit Mühe schien er der Versuchung zu widerstehen, über die Brücke zu stürmen und ans geschlossene Tor zu pochen. Er wirkte enttäuscht, ärgerlich und verwirrt.
Eine Zeitlang stand er still und stumm, und Magda wagte es ebenfalls nicht, sich von der Stelle zu rühren. Schließlich drehte er sich um, und während er zu seinem Pferd zurückging, spähte er über den Rand der Schlucht. Dann plötzlich versteifte er sich und starrte auf den Busch, hinter dem die junge Frau hockte. Magda hielt unwillkürlich den Atem an.
»Sie dort!« rief der Mann. »Kommen Sie heraus!« Seine Worte klangen wie ein Befehl, und die junge Frau glaubte, einen meglenitischen Akzent zu erkennen.
Sie bewegte keinen Muskel. Er kann mich unmöglich gesehen haben, dachte sie nervös. Es ist stockfinster, und der dichte Strauch schützt mich vor Entdeckung.
»Wenn Sie sich nicht sofort zeigen, ziehe ich Sie hinter dem Busch hervor!«
Magda griff nach einem schweren Stein, erhob sich und trat auf den Pfad. Sie war entschlossen, heftigen Widerstand zu leisten, falls das notwendig werden sollte.
»Warum haben Sie sich versteckt?«
»Weil ich nicht weiß, wer Sie sind.« Sie versuchte, ihre Stimme möglichst herausfordernd klingen zu lassen.
»Ein gutes Argument.« Der Fremde nickte knapp.
Magda fühlte, wie die Anspannung des Mannes wuchs. Aber allem Anschein nach hatte das nichts mit ihr
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