Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
von seiner Niedergeschlagenheit befreit, seine Zweifel seinerseits in Zweifel gezogen und dabei nicht unbeträchtli ches Konversationsgeschick bewiesen. Aber warum? War um kümmerte ihn die innere Qual eines alten, kranken Juden aus Bukarest?
»Seine Argumente haben durchaus etwas für sich«, fuhr Theodor Cuza fort. »Weshalb bin ich nicht selbst darauf gekommen?«
»Ich hätte ebenfalls daran denken sollen«, warf Magda leise ein.
»Andererseits hat er nicht gerade eine persönliche Begegnung mit einem Wesen hinter sich, von dem man bisher glaubte, daß es nur in Sagen und Legenden und in gräßli chen Alpträumen existiert. Es fällt ihm leichter, objektiv zu sein. Unter welchen Umständen hast du ihn kennengelernt?«
»Gestern abend, als ich am Rande der Schlucht wartete und die Feste beobachtete, das Fenster deines Zimmers im Turm …«
»Du solltest dir nicht so viele Sorgen um mich machen, Töchterchen. Immerhin habe ich dich großgezogen, nicht umgekehrt.«
Magda schenkte dieser Bemerkung keine Beachtung. »Er ritt in vollem Galopp und erweckte den Anschein, als wolle er sofort die Brücke überqueren. Aber als er das Licht und die deutschen Soldaten sah, hielt er plötzlich an.«
Der Professor dachte kurz darüber nach, bevor er das Thema wechselte. »Da du gerade die Deutschen erwähnst … Ich sollte besser zurückkehren, bevor sie kommen, um mich zu holen.«
»Könnten wir nicht irgendwie …«
»Fliehen? Oh, natürlich. Du rollst mich einfach über die Straße bis nach Campina – dann kämen wir wesentlich schneller voran.« Mit triefendem Sarkasmus fügte er hinzu: »Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Warum fragen wir den netten Sturmbannführer nicht, ob er uns einen Wagen für einen kleinen Ausflug leiht? Bestimmt wäre er bereit, uns diesen Wunsch zu erfüllen.«
»Deine Ironie gefällt mir nicht«, sagte die junge Frau beleidigt.
»Magda, hör endlich auf damit, dich an irrigen Hoffnungen auf eine Flucht festzuklammern! Die Deutschen sind keine Narren. Sie wissen genau, daß ich nicht entkommen kann, und sie glauben fest daran, daß du bei mir bleibst. Ob gleich ich möchte, daß du den Paß verläßt und dich in Sicherheit bringst.«
»Selbst wenn ich mich dazu entschließen würde, von hier zu verschwinden … Du gehst in jedem Fall ins Kastell zurück, nicht wahr?« Magda musterte ihren Vater und begann seine Einstellung zu verstehen. »Du möchtest zurück.«
Er mied ihren Blick. »Wir sitzen hier in der Falle. Und gleichzeitig bietet sich mir eine einzigartige Chance. Ich würde mein ganzes Lebenswerk in Frage stellen, wenn ich sie ungenutzt verstreichen ließe!«
»Auch wenn in diesem Augenblick ein Flugzeug im Paß landen und der Pilot anbieten würde, uns an einen sicheren Ort zu bringen … Du würdest ablehnen, stimmt’s?«
»Ich muß noch einmal mit Molasar sprechen, Magda. Ich muß ihn fragen, was es mit all den Kreuzen in den Mauern auf sich hat! Wie er zu dem wurde, was er ist. Und ich will herausfinden, warum er sich so sehr vor diesem Kreuz fürchtet.«
Eine Zeitlang schwiegen sie, und Magda empfand die Stille als Belastung. Sie spürte eine seltsame Distanz zu ihrem Vater: Er gab sich unnahbar, und so etwas war noch nie zuvor geschehen.
»Bring mich über die Brücke«, forderte der alte Mann schließlich.
»Bleib noch ein bißchen. Du bist viel zu lange in der Fe ste gewesen. Ich glaube, ihre Düsternis wirkt sich allmählich auf dich aus.«
»Ich bin vollkommen in Ordnung«, widersprach Cuza. »Überlaß die Entscheidung mir, ob ich zuviel Zeit im Ka stell verbringe oder nicht. Und nun … Rollst du mich zurück, oder muß ich hier auf die Nazis warten?«
Magda biß sich enttäuscht und betroffen auf die Lippe und schob den Rollstuhl vorwärts.
20. Kapitel
Der rothaarige Mann nahm neben dem Fenster seines Zimmers Platz, so daß er den Rest des Gesprächs hören konnte, ohne gesehen zu werden.
Stille herrschte. Nach einer Weile knirschten die Räder des Rollstuhls über den Boden. Glenn stand wieder auf und sah den Cuzas nach.
Er gab einem plötzlichen Impuls nach, verließ den Raum und betrat Magdas Kammer auf der anderen Seite des Flurs. Das Fenster bot einen ungehinderten Blick auf die Brücke und das Kastell.
Eigentümliche Empfindungen regten sich in Glenn, als er seine Aufmerksamkeit auf die schlanke Gestalt hinter dem Rollstuhl richtete. Als er Magda am vergangenen Abend aufgefordert hatte, ihr Versteck am Rand der Schlucht zu verlassen,
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