Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Titel: Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
Vom Netzwerk:
und sie nach einem großen Stein gegriffen hatte, um sich verteidigen zu können … Ihre disziplinierte Ruhe hatte ihn beeindruckt. Und später, im Erdgeschoß der Herberge, als sie sich geweigert hatte, ihm ihr Zimmer zu überlassen, als er sie zum erstenmal im hellen Licht gesehen hatte … Ihre Augen hatten gefunkelt, und doch hatte er gespürt, daß erste Risse in den Barrieren ihres Willens entstanden waren. Magda gefiel ihm, und er mochte es, wenn sie lächelte, wenn dünne Falten in ihren Augen- und Mundwinkeln entstanden und sie ihre weißen, gleichmäßigen Zähne zeigte. Und das Haar … Nur einige wenige Strähnen ragten unter dem Kopftuch hervor, aber Glenn ahnte, wie hinreißend sie aussah, wenn es bis auf die Schultern herabreichte.
    Ihre Attraktivität beschränkte sich nicht nur auf Äußerlichkeiten. Magda besaß auch viele innere Werte – eine Kraft, die ihn erstaunte. Nachdenklich sah er zu, wie sie ihren Vater bis zum Tor brachte, den Rollstuhl dort einem Wächter überließ und umkehrte. Glenn wich einige Schritte zurück, damit sie ihn nicht sah.
    Wie sie sich bewegt! Sie weiß ganz genau, daß die Blicke aller Wachtposten auf sie gerichtet sind und daß sie in diesen Sekunden zum Mittelpunkt ihrer lüsternen Phantasie wird. Und doch geht sie mit hoch erhobenem Haupt, stolz und würdevoll. Sie erweckt den Anschein, als könne sie nichts erschüttern. Obwohl in ihrem Innern ein emotionaler Aufruhr herrscht.
    In stummer Bewunderung schüttelte Glenn den Kopf. Schon vor langer, langer Zeit hatte er gelernt, sich in einen Panzer unerschütterlicher Gelassenheit zu hüllen und unter allen Umständen ruhig zu bleiben – ein Abwehrmechanismus, der ihn vor spontanen, unüberlegten Reaktionen schützte und ihm eine objektive Einschätzung aller Geschehnisse und Personen sicherte, selbst dann, wenn Chaos herrschte.
    Magda, so begriff er, gehörte zu den wenigen Personen, die in der Lage waren, einen Kontakt zum inneren Kern seines Wesens herzustellen und seine Ruhe herauszufordern. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, und außerdem respektierte er sie. Nur sehr selten begegnete er Menschen, die er akzeptierte.
    Aber ich kann es mir jetzt nicht leisten, mich emotional zu binden. Ich muß unbedingt Abstand wahren. Andererseits war es viel zu lange her, seit er zum letztenmal die Gesellschaft einer Frau genießen konnte; Magda weckte Empfindungen in ihm, die Glenn längst verloren geglaubt hatte, und es war angenehm, an sie erinnert zu werden. Die Tochter des Professors schlüpfte an seinen inneren Verteidigungsbollwerken vorbei, und der Rothaarige spürte, daß er auch nicht ohne Wirkung auf sie blieb. Warum sollte er seinen Gefühlen nicht nachgeben …?
    Nein! Das darf auf keinen Fall geschehen! Du mußt kühl bleiben! Du brauchst deine ganze Energie, um mit der Situation fertig zu werden. Nur ein Narr …
    Und doch …
    Glenn seufzte, hielt es aber für besser, die Sehnsucht zu verdrängen. Andernfalls mochten sich katastrophale Konsequenzen ergeben, nicht nur für ihn, sondern auch für Magda und alle Menschen in dieser Gegend. Sogar für die ganze Welt.
    Die junge Frau hatte inzwischen fast das Gasthaus erreicht. Glenn verließ ihr Zimmer, schloß leise die Tür und kehrte in seine eigene Kammer zurück. Dort ließ er sich aufs Bett sinken, faltete die Hände unter dem Kopf und lauschte Magdas Schritten. Doch im Flur blieb alles still.
     
    Als sie sich der Feste näherte, stellte Magda erstaunt fest, daß der alte Mann im Rollstuhl aus dem Zentrum ihrer Gedanken rückte und Glenn seine Stelle einnahm. Sie hörte die mahnende Stimme ihres Gewissens. Ich überlasse meinen kranken Vater den Nazis und einem Schattenwesen, das heu te nacht zu ihm kommen wird, und denke nicht etwa an ihn, sondern an einen Fremden. Als sie zum Gasthaus zurückkehrte, beschleunigte sich ihr Puls, und sie spürte ein sonderbares Prickeln.
    Es liegt an meinem leeren Magen, dachte sie. Ich hätte frühstücken sollen.
    Der Stuhl, den Glenn für sie gebracht hatte, stand leer hinter der Herberge. Magda hob den Kopf und spähte zum Fenster. Niemand.
    Sie nahm den Stuhl mit und versuchte sich einzureden, nicht enttäuscht zu sein – sie war nur hungrig.
    Als sie eintrat, bemerkte sie Iuliu, der an dem kleinen Tisch auf der rechten Seite saß, gerade ein großes Stück Kä se abschnitt und dazu Ziegenmilch trank. Der Wirt schien mindestens sechs Mahlzeiten am Tag einzunehmen.
    Er war allein.
    » Domnisoara Cuza!« rief er.

Weitere Kostenlose Bücher