Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
auf, daß ihr Vater nur Glenns Fragen beantwortete, ohne zusätzliche Informationen preiszugeben.
»Sie sind Jude, nicht wahr, Professor?«
Ein Nicken.
»Ist es typisch für Juden, Kreuze zu tragen?«
»Meine Tochter hat es sich ausgeliehen. Es hat mir für ein … Experiment gedient.«
Der Fremde wandte sich Magda zu. »Wer hat es Ihnen gegeben?«
»Einer der Offiziere im Kastell.« Was bedeuteten Glenns Fragen?
»Gehörte es ihm?«
»Nein. Er meinte, es stamme von einem der toten Soldaten.« Sie kniff die Augen zusammen, als sie zu ahnen begann, worauf Glenn hinauswollte.
»Seltsam«, sagte der Fremde und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Cuza. »Ganz offensichtlich hat das Kreuz jenen Soldaten nicht vor dem Tod bewahrt. Ein … Vampir, der ein solches Symbol fürchtet, müßte eigentlich ein anderes, nicht so gut geschütztes Opfer wählen, meinen Sie nicht?«
»Vielleicht trug er es unter dem Hemd«, erwiderte der Professor. »Oder in der Tasche. Vielleicht hatte er es gar nicht bei sich, als er umgebracht wurde.«
Glenn lächelte. »Ja. Vielleicht.«
»Daran haben wir noch gar nicht gedacht«, warf Magda ein und sah einen neuen Hoffnungsschimmer.
»Man muß alles in Frage stellen«, erklärte Glenn, »und darf nichts als gegeben hinnehmen. Ein Prinzip, das jeder Gelehrte kennt.«
»Woher wissen Sie, daß ich ein Gelehrter bin?« fragte Cuza scharf, und in seinen Augen blitzte Mißtrauen.
»Iuliu hat es mir erzählt. Nun, Sie haben noch etwas anderes übersehen.«
»Was?« fragte Magda sofort.
»Wenn sich Ihr Vampir vor Kreuzen fürchtet, warum wohnt er dann in einer Feste, in deren Mauern es Tausende davon gibt?«
Die junge Frau starrte ihren Vater aus großen Augen an.
Der alte Mann zwinkerte einige Male und räusperte sich verlegen. »Wissen Sie, ich bin so oft im Kastell gewesen, daß ich die Kreuze gar nicht mehr bewußt wahrnehme!«
»Das ist durchaus verständlich. Auch ich habe die Feste des öfteren besucht: Nach einer Weile fallen einem Nickel und Messing in den Wänden überhaupt nicht mehr auf. Aber das ändert jedoch nichts an der Frage, warum sich ein We sen, das vor Kreuzen Angst hat, mit zahllosen Kreuzen umgibt.« Glenn stand auf und griff nach dem Stuhl. »Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen. Bestimmt hat Lidia bereits das Frühstück für mich fertig.«
»Warum interessieren Sie sich so sehr für diese Angelegenheit?« fragte Cuza. »Warum sind Sie hier?«
»Oh, ich bin nur ein einfacher Reisender«, entgegnete der Fremde. »Mir gefällt diese Gegend, und ich komme ab und zu hierher.«
»Sie scheinen die Feste gut zu kennen.«
Glenn zuckte mit den Schultern. »Sie wissen wahrscheinlich wesentlich mehr darüber.«
»Und ich wünschte, ich könnte meinen Vater irgendwie davon überzeugen, nicht ins Kastell zurückzukehren«, murmelte Magda.
»Ich muß zurück. Um noch einmal mit Molasar zu sprechen.«
Magda rieb sich die kalten Hände und schauderte bei der Vorstellung, was ihren Vater in der kommenden Nacht erwartete. »Ich möchte nur vermeiden, daß du so endest wie die anderen. Wie die toten Soldaten.«
»Der Tod ist nicht das Schlimmste, was einem Menschen zustoßen kann«, brummte Glenn.
Sein düsterer Tonfall bedrückte Magda. Sie sah auf und bemerkte, daß die Fröhlichkeit aus dem Gesicht des Fremden gewichen war. Eine Zeitlang starrte er nachdenklich auf den alten Mann, und schließlich glätteten sich seine Züge wieder.
»Ich sollte jetzt besser gehen. Aber bevor ich Sie verlasse, möchte ich Sie noch auf etwas hinweisen.«
Glenn trat hinter den Rollstuhl und drehte ihn um hun dertachtzig Grad.
»Was machen Sie da?« rief Theodor Cuza, und Magda sprang auf ihn zu.
»Ich biete Ihnen nur einen anderen Ausblick, Professor. Die Feste ist ein ziemlich finsterer Ort, und es gibt hier weitaus schönere Dinge.«
Er deutete in die Schlucht. »Sehen Sie nach Süden und Osten anstatt nach Norden. Beobachten Sie die Erhabenheit der Berge, das sprießende Gras, die bunten Blumen in den Felsspalten. Vergessen Sie das Kastell für eine Weile.«
Er begegnete kurz Magdas Blick, bevor er sich abwandte und fortging. Nach wenigen Metern verschwand er hinter dem Gasthaus.
»Ein seltsamer Mensch«, brummte der Professor, und Magda bemerkte eine Andeutung von Spott in seiner Stim me.
»Ja. Kann man wohl sagen.« Aber die junge Frau fand den Fremden nicht nur sonderbar; in gewisser Weise fühlte sie sich ihm auch zu Dank verpflichtet. Glenn hatte ihren Vater
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