Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
stillen Mut des Mädchens tief berührt gewesen. Und dann gab es noch einen weiteren Grund für ihre Freude: Wenn Julie geheilt werden konnte, dann bestand für Jeffy wirklich Hoffnung.
Charles schien ihre Gedanken zu lesen. Er wandte sich zu ihr und nahm sie in seine Arme.
»Er sagt, Jeffy ist sein nächster Patient.«
»Aber hast du nicht gesagt, dass das Dat-tay-vao sein Gehirn zerstört?«
Diese Erkenntnis war wie eine dunkle Wolke, die die Sonne verdeckte. Müsste Alan einen Teil seines Gehirns opfern, um Jeffys Autismus zu durchbrechen? Sie wusste nicht, ob sie das zulassen konnte.
Sie wusste nicht, ob sie ablehnen könnte.
Sie verdrängte den Gedanken, um sich zu gegebener Zeit damit auseinanderzusetzen. Jetzt musste sie sich darauf konzentrieren, Alan wieder nach Toad Hall zu bringen.
Aber etwas war mit Charles geschehen. Sie bemerkte eine Veränderung an ihm. Er war in den letzten Tagen weicher geworden. Seine harte, unnahbare Fassade war an einigen Stellen aufgeplatzt und legte sanfte verwundbare Stellen frei.
»Er hat dich auch berührt, nicht wahr?«, fragte sie, nachdem sie ihn lange angesehen hatte.
»Quatsch! Ich habe keine Krankheit, die geheilt werden muss.«
»Nein. Ich meine es anders – mit seiner eigenen persönlichen Berührung – die er schon immer hatte, seinem Einfühlungsvermögen, seiner Fürsorge.«
»Er kümmert sich wirklich, nicht wahr?«, sagte Charles. »Ich dachte immer, es wäre Schau, Teil der Rolle des engagierten, hart arbeitenden Familiendoktors. Weißt du: Fußsoldat an der vordersten Front im niemals endenden Kampf gegen Tod und Krankheit und dieses Zeug. Aber er ist wirklich so. Und ich dachte immer, so jemand müsse ein Weichei sein, der seine aufopferungsvolle Arbeit in der Praxis wie ein Kreuz vor sich her trägt. Aber er ist ein Mensch.« Charles biss auf seine Unterlippe. »Jesus! Was ich alles über ihn gedacht habe! Und was ich alles über ihn gesagt habe!«
Sylvia stieß ihn an. »Vielleicht verstehst du jetzt, warum er hier bei mir ist.«
Charles sah sie an. In seinen Augen lag Schmerz, aber er war weit weg und im Schwinden begriffen. »Ich glau be, ja. Und ich hoffe, dass ihr beide glücklich werdet.«
»Sie haben mich gerufen, Missus?«, fragte Ba vom Türeingang.
»Oh ja, Ba. Hast du das Gedicht mitgebracht – über das Dat-tay-vao ?«
Er reichte es ihr, und sie las es Charles vor.
»Es sucht, doch lässt sich nicht suchen.
Es findet, doch lässt sich nicht finden.
Es ergreift den, der berührt,
Der Schmerz und Krankheit wegschneidet.
Aber seine Klinge ist zweischneidig
und kann nicht abgelenkt werden.
Wenn du dein Wohlbefinden achtest,
stell dich ihm nicht in den Weg.
Behandle den Berührer doppelt gut,
Denn er trägt die Last
Des Gleichgewichts, das gehalten werden muss.«
»Verstehst du? ›Er trägt die Last des Gleichgewichts, das gehalten werden muss.‹ Das passt zu dem, was mit Alan passiert: Immer wenn er die Gabe verwendet, nimmt sie etwas von ihm weg. Für jedes Geben wird etwas genommen.«
»Klingt für mich wie eine Variante der alten Wahrheit: ›Man kriegt nichts umsonst.‹ Irgendwo muss immer jemand die Zeche zahlen. Aber das ist im Moment nicht mein Hauptproblem. Wir sollten keine Zeit verlieren und alle Räder in Bewegung setzen, um Alan aus der Stiftung herauszuholen.«
»Werden sie ihn denn heute Abend nicht gehen lassen? Er wird das Dat-tay-vao bei dem Senator anwenden und dann ist alles erledigt.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Charles mit einem langsamen Kopfschütteln. »Alan war stocksauer – ich meine, richtig böse, als ich ihm erzählte, wie McCready ihn reingelegt hat.«
»Du denkst doch nicht, dass er sich weigern wird, ihn zu heilen?«, fragte Sylvia. »Das sähe Alan gar nicht ähnlich.«
»Du hast seine Augen nicht gesehen. Und wenn McCready nicht bekommt, was er will, wird er Alan nicht gehen lassen.«
»Aber er kann ihn nicht festhalten!«
»Für gewisse Zeit kann er das bestimmt. Ich dachte, er hätte alle seine Untersuchungsergebnisse vernichtet, aber im Nachhinein glaube ich jetzt, dass er die Originale seines psychologischen Profils aufbewahrt hat.«
»Warum?«
»Weil das darauf hindeutet, dass Alan paranoid ist. Sie könnten ihn mit der Begründung festhalten, dass er eine Gefahr für sich und die Allgemeinheit darstellt.«
»Ich werde Tony anrufen«, sagte Sylvia, die jetzt nicht nur ängstlich war, sondern auch zornig. »Er wird diese Stiftung auf den Kopf
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