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Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Gabe
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Zahnfleisch auf die verräterischen Zeichen der Nebenwirkungen von Dilantin. Alles negativ. Gut. Er schaltete das Otoskop an, befestigte darauf einen neuen Trichter und wandte sich ihren Ohren zu. Das linke Ohr sah gut aus – der Hörkanal war frei, das Trommelfell hatte die normale Färbung und Form und es gab keine Anzeichen für Flüssigkeitseinlagerungen im Mittelohr. Er wandte sich dem anderen Ohr zu. Wie gewöhnlich sah dies genauso normal aus wie das linke. Ihre Taubheit war nicht durch einen Strukturdefekt ausgelöst worden; der Gehörnerv übermittelte einfach keine Reize vom Mittelohr zum Gehirn. Mit Bedauern dachte er daran, dass sie niemals ihre Musikstücke in Stereo hören würde …
    Und dann geschah es.
    Zuerst ein Gefühl in seiner linken Hand, wo er ihre Ohrmuschel hielt, ein prickelndes pieksendes Vergnügen, das von dort seinen ganzen Körper überflutete und ihn zittern und in Schweiß ausbrechen ließ. Sonja wimmerte und griff mit beiden Händen an ihr Ohr, als sie vom Untersuchungstisch zurücktaumelte und in die Arme ihrer Mutter stürzte.
    »Was?«, war alles, was die bestürzte Mutter herausbringen konnte, als sie ihr Kind an sich drückte.
    »Mein Ohr! Er hat mir am Ohr weh getan!«
    Schwach und mehr als ein bisschen erschreckt, stützte sich Alan gegen den Untersuchungstisch.
    Die Mutter verteidigte ihn. »Er hat dich kaum berührt, Sonja!«
    »Er hat mir einen elektrischen Schlag gegeben!«
    »Das muss vom Teppich kommen. Stimmt doch, nicht wahr, Dr. Bulmer?«
    Eine Sekunde lang war Alan sich nicht ganz sicher, wo er war.
    »Bestimmt«, sagte er. Er richtete sich auf und hoffte, dass er nicht so blass und angegriffen aussah, wie er sich fühlte. »Das ist die einzige Erklärung.«
    Was er gerade gespürt hatte, erinnerte ihn an den Elektroschock, den er am vorigen Abend von dem Penner in der Notaufnahme erhalten hatte. Aber heute hatte es sich eher angenehm und nicht schmerzhaft angefühlt. Ein Moment brennender Ekstase und dann … was? Ein Nachglühen?
    Er schaffte es, Sonja wieder auf den Tisch zu locken und die Untersuchung abzuschließen. Er kontrollierte noch einmal ihr rechtes Ohr. Dieses Mal war es kein Problem. Kein Zeichen einer Verletzung. Als Sonja ein paar Minuten später ging, klagte sie jedoch immer noch über Schmerzen im Ohr.
    Alan mochte es nicht, wenn er etwas nicht erklären konnte. Aber er schob den Gedanken erst einmal an die Seite. Er hatte einen vollen Terminplan und musste sich beeilen.
    Die nächste halbe Stunde verlief reibungslos. Dann erschien Henrietta Westin.
    »Ich wollte zur Vorsorge.«
    Alan war sofort alarmiert. Henrietta Westin war nicht der Typ, der zu Vorsorgeuntersuchungen ging. Sie war eine wiedergeborene Christin, die ihre drei Kinder und ihren Mann bei den ersten Anzeichen von Grippe öder Fieber in die Praxis schleppte, aber bei allem, was sie selbst betraf, auf den lieben Gott vertraute.
    »Etwas nicht in Ordnung?«, fragte Alan.
    Sie zuckte mit den Achseln und lächelte. »Natürlich nicht. Ein bisschen müde vielleicht, aber was soll man erwarten, wenn man im nächsten Monat fünfundvierzig wird? Vermutlich sollte ich Gott danken, dass ich bisher immer gesund war.«
    Das klang bedenklich.
    Alan untersuchte sie. Er fand nichts Bemerkenswertes außer einer leichten Erhöhung des Blutdrucks und des Pulses, wobei das Letztere zweifellos mit Erstem zusammenhing. Sie hatte einen Frauenarzt, den sie regelmäßig »bei Frauenproblemen« aufsuchte; ihre letzte gynäkologische Untersuchung lag vier Monate zurück. Damals war alles normal gewesen.
    Alan lehnte sich an den Tisch und sah sie an. Er hatte ihre Handflächen berührt, und sie waren schweißnass. Diese Hände lagen jetzt fest verschränkt in ihrem Schoß, die Knöchel traten weiß hervor. Die Frau stand unter enormer Anspannung. Er beschloss, eine Schilddrüsenuntersuchung anzuordnen, auch wenn das wohl nicht das Problem war, denn ihr Gewicht hatte sich in den vergangenen zwei Jahren nicht verändert.
    Er hob ihre Karte auf und deutete auf die Tür seines Sprechzimmers. »Ziehen Sie sich an und kommen Sie dann rüber. Wir werden uns unterhalten.«
    Sie nickte. »In Ordnung.« Als er auf die Tür zuging, sagte sie: »Oh, nebenbei …«
    Jetzt kommt es, dachte er. Der wahre Grund ihres Besuches.
    »… ich habe einen Knoten in meiner Brust entdeckt.«
    Er warf ihre Karte wieder auf die Arbeitsfläche und ging zu ihr.
    »Hat Dr. Anson Sie nicht untersucht?« Alan kannte ihren Gynäkologen als

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