Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Patienten an diesem Morgen kompetent durchzuführen, obwohl ihm klar war, dass er einige von ihnen kurz abfertigte. Er konnte nicht anders. Es war anstrengend, sich auf ihre Probleme zu konzentrieren, wenn seine Gedanken mit der Frage beschäftigt waren, was mit dem Tumor in Henrietta Westins Brust passiert war. Er war da gewesen! Er hatte ihn gefühlt! Und diese Knoten in der Achselhöhle konnten nur bösartig sein!
Und dann waren sie verschwunden.
Das war verrückt!
Seine Verwirrung hatte aber einen unerwarteten Vorteil: Er bekam kaum mit, wie Mr Bradford wieder seinen üblichen Katalog von Form, Farbe und Qualität jedes Stuhlgangs seit seinem letzen Besuch abspulte.
Endlich war es Mittagszeit. Er machte seine Rückrufe und schickte Connie und Denise zum Essen. Er wünschte, Ginny würde noch hier arbeiten. Sie hatte als seine Sprechstundenhilfe angefangen, als er in das Gebäude eingezogen war, hatte jedoch bald entschieden, dass das nichts für sie war. Vielleicht hatte sie recht. Schließlich arbeitete keine der Arztgattinnen, mit denen sie verkehrte, für den Ehemann.
Er hörte das Telefon auf Connies Schreibtisch klingeln, und sah ein Lämpchen an seinem Telefon aufblinken. Es war die direkte Leitung, die er für das Krankenhaus, Apotheker und andere Arzte reserviert hatte. Er griff nach dem Hörer.
»Hallo.«
»Nichts gefunden, Alan.« Es war Jack Fisher, der Radiologe. »Eine kleine fibrozystische Erkrankung, aber keine Geschwulst, keine Verkalkungen, keine Gefäßveränderungen.«
»Und du hast die Achselhöhle untersucht, wie ich es dir gesagt habe?«
»Sauber. Beide Seiten. Sauber.«
Alan sagte nichts. Er konnte nicht sprechen.
»Alles in Ordnung, Alan?«
»Ja. Ja, sicher, Jack. Und vielen Dank, dass du sie noch unterbringen konntest. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
»Kein Problem. Manchmal kann man mit diesen Spinnern nur so umgehen, indem man auf sie eingeht.«
»Spinner?«
»Ja. Diese Westin. Sie erzählte hier wieder und wieder, dass du ›heilende Hände‹ hättest. Dass sie seit einem Monat einen Tumor gehabt hätte und dass du ihn mit einer einzigen Berührung zum Verschwinden gebracht hättest.« Er lachte. »Jedes Mal, wenn ich denke, ich hätte alles schon mal gehört, dann taucht jemand mit einer neuen Geschichte auf.«
Alan schaffte es noch, einigermaßen gefasst das Telefongespräch zu beenden, dann ließ er sich in seinen Stuhl fallen und saß da und starrte die Maserung in der Eichenverkleidung der gegenüberliegenden Wand an.
Henrietta Westin hatte nun eine gesunde linke Brust, die keinerlei Symptome bei der Mammografie aufwies. Aber das war zwei Stunden zuvor nicht der Fall gewesen.
Er seufzte und erhob sich. Es hatte keinen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen. Sie würde ihre Brust oder ihr Leben nicht verlieren, das war das Wichtigste. Zu gegebener Zeit würde er versuchen, das Rätsel zu lösen. Jetzt musste er etwas essen, und dann ging es mit den Nachmittagsterminen weiter.
Das Telefon klingelte wieder. Diesmal war es die Patientenleitung. Er hatte den Anrufbeantworter noch nicht eingeschaltet, darum nahm er ab.
Es war Mrs Anderson, und sie schluchzte. Es war wegen Sonja. Wegen ihres Ohres.
Oh Gott! Das fehlte noch.
»Was ist los?«, fragte er. »Hat sie immer noch Schmerzen?«
»Nein!«, schluchzte die Frau. »Sie kann wieder mit dem rechten Ohr hören! Sie kann hören !«
»Wie sehe ich aus?«
Alan kehrte wieder ins Hier und Jetzt zurück. Er hatte den Nachmittag herumgekriegt, ohne dramatische medizinische Fehler zu machen, aber jetzt, wo er zu Hause war, wanderten seine Gedanken ständig zu Sonja Anderson und Henrietta Westin.
Er sah auf. Ginny stand am anderen Ende des Küchentisches und führte eine eng sitzende Hose und eine Bluse in verschiedenen Grüntönen vor. »Du siehst großartig aus.« Das war die Wahrheit. Die Kleider von der Stange saßen bei ihr stets wie angegossen. Das Grün der Textilien passte zu. dem Grün ihrer Kontaktlinsen. »Wirklich gut.«
»Warum muss ich dich dann immer fragen?«
»Weil du immer großartig aussiehst. Du müsstest das wissen.«
»Eine Frau mag es, wenn man es ihr auch mal sagt.«
Vielleicht das hundertste Mal in diesem Jahr – das erste Mal noch in der Silvesternacht – hatte Alan versprochen, sich mehr um Ginny und weniger um die Praxis zu kümmern. Sie hatten kaum noch ein gemeinsames Leben. Auf einen Außenstehenden wirkten sie wahrscheinlich wie das perfekte Ehepaar – es fehlten nur
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