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Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Gabe
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Bastard, hatte McCready für den Direktor seiner Forschungsabteilung eine heimlich Schwäche. Vielleicht lag es daran, dass Charles Axford niemandem etwas vormachte. Er machte keinen Hehl daraus, leidenschaftlicher Atheist und überzeugter Materialist zu sein, der grundsätzlich nichts akzeptierte, was sich nicht wissenschaftlich überprüfen ließ. Wenn er etwas nicht beobachten, messen und einordnen konnte, existierte es nicht. Erfrischend frei von Scheiße, sein Charles. Menschen waren für ihn nichts weiter als eine Ansammlung von Zellen und biochemischen Reaktionen. Er hatte McCready einmal erzählt, dass es sein Traum sei, den menschlichen Geist in seine grundlegenden neurochemischen Reaktionen zu zerlegen.
    Alles gut und schön, wenn man gesund ist. Aber wenn man das nicht ist und wenn die moderne Medizin einen im Stich lässt … dann sieht man sich nach anderen Möglichkeiten um. Man betet, selbst wenn man nicht an Gebete glaubt. Man interessiert sich für Gesundbeter, auch wenn man kein Vertrauen in sie hat. Die spöttischen und abfälligen Bemerkungen kommen einem nicht mehr so leicht über die Lippen. Man schaut unter jeden Stein und verfolgt jede Spur bis zu der unvermeidlichen Sackgasse. Und dann geht man der nächsten Spur nach.
    Hoffnungslosigkeit war etwas Scheußliches.
    Er hatte das Vertrauen in die aktuelle Forschung über Erkrankungen der Nerven und der Muskeln verloren – er konnte einfach nicht damit rechnen, dass die in die Richtung ging, die für ihn lebensnotwendig war. Deswegen wurde die Stiftung ins Leben gerufen, mit Charles Axford als ihrem Leiter. Er hatte Axford zum Direktor gemacht, weil er das Gefühl hatte, ihm etwas zu schulden.
    Weil der Tag, an dem er Axford kennenlernte, der schrecklichste Tag in seinem Leben war. Er hatte den Verlauf seines Lebens verändert, die Art, wie er das Leben, die Welt und die Zukunft sah. Weil Charles Axford der Erste war, der sagen konnte, was ihm fehlte.
    All die anderen Ärzte vor Charles hatten sich geirrt. Unisono hatten sie seine andauernde Müdigkeit »Überarbeitung« und »Stress« zugeschrieben. Das war das allgemeine Schlagwort, wenn ihnen nichts anderes mehr einfiel: Wenn man keine Ahnung hat, was es ist, dann ist es Stress.
    McCready hatte es eine Weile geschluckt. Er hatte schwer gearbeitet – er hatte immer schwer gearbeitet –, aber sich niemals so müde gefühlt. Er hatte aufgehört, Steaks zu essen, weil das Kauen ihn zu sehr anstrengte. Sein Arm ermüdete während des Rasierens. Überarbeitung und Stress. Er hatte die Diagnose akzeptiert, weil alle Untersuchungen, Reflextests, Blutbilder, Röntgenaufnahmen und Kardiogramme ein völlig normales Ergebnis aufwiesen. »Sie sind die Gesundheit in Person!«, hatte ihm ein anerkannter Internist gesagt.
    Als er das erste Mal doppelt gesehen hatte, machte er, von Panik ergriffen, bei dem erstbesten Neurologen den nächstmöglichen Termin aus. Das war Charles Axford gewesen. Später hatte er erfahren, dass Axford ihn nicht aus ärztlicher Besorgnis über einen Patienten in Not zwischen seine Termine gequetscht hatte, sondern weil er an diesem Nachmittag so gut wie keine Termine gehabt hatte.
    McCready sah sich einem kühlen schroffen Briten mit starkem Akzent gegenüber, der in einem weißen Kittel kettenrauchend am anderen Ende des alten Schreibtisches saß, während er sich McCreadys Symptome schildern ließ. Er stellte ein paar Fragen und sagte dann: »Sie leiden an Myasthenia gravis im fortgeschrittenen Stadium. Ihr Leben wird bald die Hölle sein.«
    McCready erinnerte sich immer noch an die Schockwelle des Entsetzens, die wie in Zeitlupe durch ihn hindurchrollte, von vorn nach hinten, wie eine Sturmfront. Er sah nur noch Aristoteles Onassis vor sich, der von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr immer gebrechlicher wurde. Er schaffte es zu sagen: »Wollen Sie mich nicht untersuchen?«
    »Sie meinen, auf Ihre Knie klopfen und mit einer Lampe in Ihre Augen leuchten und den ganzen Unsinn? Nicht, wenn es nicht sein muss!«
    »Ich bestehe darauf! Ich zahle für eine Untersuchung, und dann verlange ich auch eine!«
    Axford hatte geseufzt. »Na schön.« Er kam um den Tisch herum und setzte sich auf die Schreibtischkante. Er hielt McCready beide Hände hin und sagte: »Drücken Sie. Feste.« Nachdem McCready sie gegriffen und gedrückt hatte, sagte Axford: »Noch mal!« Und wieder: »Noch mal!«
    Und bei jedem folgenden Druck fühlte McCready seinen Griff immer schwächer und schwächer

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