Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Die erste war der Keim des Gesetzentwurfes über die Medizinischen Richtlinien. Ärzte hatten ihm immer wieder erklärt, dass Myasthenia gravis im Anfangsstadium schwer zu diagnostizieren sei. Es kümmerte ihn nicht. Die Ursache seiner Erkrankung hätte schon Jahre, bevor er zu Axford ging, erkannt werden müssen. Diese Ärzte benötigten ein par Lektionen in Demut. Und wenn sie ihre Arbeit nicht anständig machten, dann würde er ihnen schon beibringen, wie das zu tun war.
Die zweite Idee wurde schneller als der Gesetzentwurf verwirklicht. Die McCready-Stiftung für Medizinische Forschung, mit Dr. Charles Axford als Direktor, wurde ins Leben gerufen. Das Projekt war steuerbegünstigt und erlaubte es McCready, direkten Einfluss auf die Ausrichtung der Forschungsarbeiten zu nehmen. Axford schien begeistert – er wurde gut bezahlt und konnte seinen Interessen nachgehen, ohne sich groß mit Patienten abgeben zu müssen.
Durch den Zufluss von Zuschüssen und Spenden wuchs die Stiftung, bis sie mit der Zeit stationäre und ambulante Patienten in ihrem eigenen Gebäude an Manhattans Park Avenue versorgen konnte. Das Haus war ein ehemaliges Bürogebäude aus den Dreißigerjahren, das aussah wie eine kleinere Version des Rockefeller Towers. McCready hatte mit einem Schoßdoktorchen angefangen, nun besaß er einen ganzen Stall von ihnen. Das war der einzige Weg, Ärzte bei der Stange zu halten: Man musste sie besitzen. Wenn man sie finanziell von sich abhängig machte, legten sie ihre Bockigkeit schnell ab. Sie lernten zu spuren, wie alle anderen auch.
Axford zeigte sich in vielen Dingen immer noch bockig, aber McCready schob das auf die Tatsache, dass er seinem Forschungschef sehr viel Spielraum ließ. Eines Tages würde er andere Saiten aufziehen und den Briten tanzen lassen. Aber jetzt noch nicht. Nicht, solange er Axfords Wissen benötigte.
Das würde vielleicht nicht mehr lange dauern. Nicht, wenn auch nur ein Zehntel von dem stimmte, was er über diesen Bulmer gehört hatte. Nach all den Jahren falscher Spuren war es fast zu viel, was man erhoffen konnte. Aber diese Geschichten …
Sein Mund wurde trocken. Wenn auch nur die Hälfte davon stimmte …
Und das, wo Bulmer gerade erst im vergangenen Monat in seinem Komiteeraum gewesen war. Er war ihm nicht wie ein Verrückter erschienen – ganz im Gegenteil.
War es möglich, dass er nur ein paar Meter entfernt von seiner Heilung gesessen hatte und es nicht gewusst hatte?
Er musste es herausfinden. Er musste es wissen ! Ihm blieb nicht mehr viel Zeit!
13. Charles
»Komm schon, Vati«, sagte Julie mit einer Stimme, die nur eine Spur vom Quengeln entfernt war. »Heute ist Dialyseabend.« Sie stand da in ihren abgeschnittenen Jeans und dem langärmeligen T-Shirt und hielt ihm das Glas hin. »Gib mir noch mehr. Ich habe Durst.«
»Wie viel hast du schon gehabt?«, fragte Charles.
»Zweihundert Milliliter.«
»Nur noch fünfzig mehr.«
»Hundert! Bitte !« Sie ließ ihre Zunge aus dem Mund hängen und tat so, als würde sie verdursten.
»Schon gut! Schon gut!«
Er füllte ihr Glas halb voll, hielt aber ihren Arm fest, als sie es zum Mund heben wollte.
»Spül deine letzten drei Amphojel-Tabletten damit herunter.«
Sie verzog ihr Gesicht, steckte sie aber in den Mund und begann zu kauen. Von den achtundzwanzig Tabletten, die Julie jeden Tag nehmen musste – Kalzium, aktiviertes Vitamin D, Eisen, wasserlösliche Vitamine –, hasste sie die Aluminiumhydroxidtabletten am meisten.
Als sie den Saft ausgetrunken hatte, zeigte er auf das hintere Ende des Appartements.
Julie ließ ihre Schultern sinken und schmollte: »Kann das nicht warten?«
»Troll dich und schmoll nicht. Es ist schon nach sechs Uhr.«
Er folgte ihr in den hinteren Raum, wo sie sich in den Ruhesessel plumpsen ließ, ihren Ärmel hochrollte und den bloßen Unterarm auf die Lehne legte.
Charles hatte den Dialyseapparat bereits warmlaufen lassen und alles vorbereitet. Er setzte sich neben seine Tochter und untersuchte ihren Arm. Der Shunt war auch nach fünf Jahren noch in ausgezeichnetem Zustand. Die verdickten Venen, die ungefähr so dick waren wie sein kleiner Finger, traten deutlich unter ihrer Haut hervor.
Ein paar Jahre zuvor hatte ein Junge in der Schule den Shunt gesehen und danach wurde sie wegen ihrer »wurmstichigen Arme« gehänselt. Seitdem trug sie immer lange Ärmel – selbst im Sommer.
Nachdem er die Stelle mit Alkohol abgerieben hatte, punktierte er die Haut und
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