Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
nicht zu kennen?
»Macht nichts«, sagte sie schnell, um seine offensichtliche Verlegenheit zu überspielen. »Die Namen sind unwichtig. Es zählt, was sie denken, und sie halten Sie für eine Belastung.«
»Das habe ich jetzt wirklich noch gebraucht«, sagte er mit einem gequälten Zucken um den Mund. »Wer ist der Vierte?«
»Mein Onkel natürlich – Ihr geschätzter Ex-Partner.«
»Ich bin sicher, er wird eine feurige Rede zu meiner Verteidigung halten.«
»Richtig – sobald Wasser bergauf fließt. Verstehen Sie jetzt, warum ich besorgt bin? Das sind vier von zehn. Ich kenne die anderen nicht, aber ich bezweifle, dass sie anders denken.«
Alan lehnte sich zurück und dachte schweigend nach. Sie betrachtete sein gequältes Gesicht und fühlte mit ihm.
»Das haben Sie nicht verdient«, sagte sie. »Sie haben niemanden verletzt. Sie haben …«
»Vielleicht sollte ich einfach meine Kündigung einreichen«, sagte er, als ob er sie gar nicht gehört hätte. »Ich bin sowieso kaum noch im Krankenhaus.«
»Das würde dem Kuratorium bestimmt gut passen. Es würde ihnen eine Menge Ärger ersparen, wenn Sie die Entscheidung für sie treffen würden.«
Er seufzte: »Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, Sylvia: Der Gedanke, bei dieser Anhörung zu erscheinen, ängstigt mich zu Tode. Ich will mich nicht vor denen oder jemand anderem rechtfertigen müssen.«
»Aber wenn Sie nicht zu dem Termin gehen, wird es noch mehr Munition gegen Sie geben.«
»Nun, ich will es ihnen nicht so leicht machen«, sagte Alan und hob die Schultern. »Und ich will ihnen auch kein weiteres Material gegen mich liefern. Darum bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dort zu erscheinen und es durchzustehen.«
»Das glaube ich auch.«
Aber man wird dir wehtun, dachte sie, während sich ihre Brust zusammenzog.
»Ich lasse mich nicht mundtot machen«, sagte er mit einer plötzlichen Bestimmtheit.
Er lächelte sie verkniffen an. Sie erwiderte das Lächeln, aber auch bei ihr reichte es nicht über die Lippen hinaus. Sie wusste, dass er sich ihr gegenüber verstellte, aber sie durchschaute ihn. Er hatte Angst.
Und die sollte er auch haben.
23. Alan
Alan fuhr an die Bordsteinkante, als er Tony sah, der ihm zuwinkte.
»Was machst du hier?«, fragte er, als Tony einstieg. »Wir wollten uns doch im Büro treffen.«
»Du kannst nicht auf diesen verdammten Parkplatz fahren«, antwortete er und zündete sich eine Zigarette an, sobald er Platz genommen hatte. »Der ist voll mit Krüppeln.«
»Behinderte«, entgegnete Alan.
»Du sprichst Neusprache, und ich spreche Altsprache. Was auch immer, sie haben den ganzen verfluchten Platz in Beschlag genommen. Ich dachte, dass es zu Ausschreitungen kommt, wenn du dich da blicken lässt. Darum bin ich ein paar Häuserblocks weitergegangen, um dich abzufangen.«
Er zog an seiner Zigarette, kurbelte das Fenster etwas herunter und blies den Rauch durch die Öffnung hinaus.
»Weißt du, ich habe mit einigen gesprochen. Die meisten sind wegen des Artikels im People hier. Wahrscheinlich waren sie vorher schon m Lourdes, beim Vatikan, in Bethlehem und wer weiß, wo noch alles, um von irgendetwas geheilt zu werden. Aber andere kennen Leute, die bei dir gewesen sind und die du von einer unheilbaren Krankheit geheilt hast.«
Sie fuhren an dem Bürogebäude vorbei. Alan war schockiert über die Menge von Autos und Kleinbussen und Menschen, die den Platz füllten und sich auf der Straße drängten. Er war seit Tagen nicht mehr in der Praxis gewesen. Es war ihm nicht klar gewesen …
Schuldgefühle überfielen ihn. Er hatte die Gabe seit Tagen nicht mehr angewandt. Er hatte Stunden der Macht vergeudet.
»Und jetzt sind sie alle hier und warten auf dich. Es hat ein paar Tage gedauert, Al, aber ich muss sagen, ich glaube dir. Du hast etwas .«
Alan mimte einen verletzten Gesichtsausdruck. »Du meinst, du hast an mir gezweifelt?«
»Scheiße, ja! Du hast mir da ein paar ganz schöne Brocken zu schlucken gegeben. Ich dachte, du hättest vielleicht eine Grundreinigung in deinem Hirnstübchen nötig, wenn du verstehst, was ich meine.«
Alan lächelte. »Das habe ich anfangs auch gedacht. Aber dann habe ich mir überlegt, wenn ich Wahnvorstellungen habe, dann müssen furchtbar viele ehemals kranke Leute die auch haben.«
Als er Tony um Hilfe gebeten hatte, hatte er ihm die ganze Wahrheit über das Dat-tay-vao erzählt. Er hatte es für notwendig gehalten, dem Mann, der ihm bei der Anhörung zur Seite stehen
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