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Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Gabe
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sollte, in alles einzuweihen. Er erzählte ihm von der Begebenheit in der Notaufnahme, und wie seine neue Gabe zu der Lebensgeschichte des Penners passte, die Tony recherchiert hatte.
    »Trotzdem, Al, es ist für mich ganz schön schwer zu schlucken, selbst nachdem ich all diese Pilger vor deiner Tür gesehen habe. Aber wir können auf keinen Fall diesen Bastarden vom Kuratorium erzählen, dass du wirklich über diese Gabe verfügst.«
    Bei der Erwähnung des Kuratoriums wurden Alans Handflächen am Steuer feucht, und sein Magen krampfte sich zusammen. In ungefähr fünfzehn Minuten würde er wie ein jugendlicher Missetäter vor dem Ausschuss sitzen. Er hasste diese Vorstellung. Es machte ihn wütend, aber noch mehr ängstigte es ihn.
    »Warum nicht alles ein für alle Mal ans Tageslicht bringen?«, fragte Alan. »Dann ist es endlich raus.«
    »Nein!« Tony fummelte an seiner Zigarette herum, ließ sie auf den Boden fallen und hob sie hastig wieder auf. »Um Gottes willen, ziehe das nicht einmal in Erwägung! Das würde so viele verzwickte Fragen aufwerfen, bei denen ich nicht einmal daran denken möchte, wie ich damit umgehen sollte!«
    »Aber früher oder später –«
    »Al, alter Junge, vertrau mir bei dieser Sache. Ich habe die Verhaltensregeln für das ärztliche Personal studiert, und es gibt nichts, was dir gefährlich werden könnte. Du musst da heute nicht einmal erscheinen – ich habe dir ja auch geraten, das nicht zu tun, aber du hast es vorgezogen, diesen Rat zu ignorieren. Nun gut. Aber die Tatsache bleibt bestehen: sie können dir nichts anhaben. Lass sie nur ihr Spielchen spielen. Lehn dich einfach zurück und entspanne dich. Wenn du nicht wegen eines Schwerverbrechens verurteilt bist oder wegen Verworfenheit oder grober Vernachlässigung deiner Pflichten als Arzt für schuldig befunden wurdest, kommen sie nicht an dich ran. Die spielen sich nur auf, Mann. Lass sie einfach.«
    »Wenn du es sagst, Tony. Ich –«
    »Nichts, Al. Du nimmst nichts von diesen Geldverleihern, Grundstücksmaklern und Gebrauchtwagenhändlern an. Du sitzt einfach stumm da und guckst nett und unschuldig drein, während ich die Drecksarbeit erledige.«
    Alan erkannte, dass Tony sich für die Anhörung in Rage redete. Er ließ ihn in Fahrt kommen.
    »Wenn diese Saftsäcke glauben, sie könnten dich wegen dem bisschen Regenbogenpresse hinhängen, dann werden sie ihr blaues Wunder erleben! Lass sie es nur versuchen! Lass sie nur!«
    Alan fühlte seine Furcht und sein Unwohlsein im Kielwasser von Tonys kämpferischer Zuversicht davonschwimmen.
    »Nun, meine Herren«, sagte Tony. »Sie sind sich wohl alle bewusst, wie irritierend es für Dr. Bulmer ist, vor das Kuratorium gerufen zu werden wie ein auf Abwege geratener Schuljunge, der wegen Kritzeleien an der Schulhofmauer vor den Direktor zitiert wird.«
    Alan saß staunend da und beobachtete Tony, der vor den Mitgliedern des Ausschusses auf und ab schritt. Er war redegewandt, höflich und ehrerbietig, aber niemals unterwürfig. Er ließ die ganze Sache so aussehen, als habe Alan ihnen aus reiner Herzensgüte eine Audienz gewährt.
    Da saßen sie, alle zwölf – zehn Kuratoriumsmitglieder, Alan und Tony –, an dem ovalen Tisch in diesem kleinen Konferenzraum im Erdgeschoss des Krankenhauses. Sie saßen zwar alle am gleichen Tisch, teilten sich jedoch unübersehbar in zwei Gruppen auf: Alan und Tony an einem Tischende, die Mitglieder des Ausschusses – zwei Ärzte und acht lokale Geschäftsleute, die sich ehrenamtlich um kommunalpolitische Belange kümmerten – gruppierten sich am anderen Ende. Er kannte beide Ärzte gut – Lou natürlich, sein früherer Partner, und der alte Bud Reardon, der die chirurgische Abteilung in den Anfängen des Krankenhauses praktisch allein geführt hatte. Bud sah man in letzter Zeit an, dass er alt geworden war. Alan hatte bei seinem Eintreten bemerkt, dass er hinkte.
    Alan kannte die anderen nicht näher. Er machte keine Geschäfte mit ihnen, war nicht in der Krankenhauspolitik engagiert, und obwohl die meisten dem gleichen Club angehörten wie er, verbrachte er dort nicht genügend Zeit, um mehr als flüchtig mit ihnen bekannt zu sein.
    Zwar starrte ihn keiner an, aber alle sahen zu ihm und schauten schnell wieder weg, als sei er ein Fremder, als würden sie versuchen, eine geistige Distanz zwischen sich und dem Arzt herzustellen, den sie unter Umständen zu disziplinieren hatten. Aber jetzt hatte er keine Angst mehr vor ihnen. Tony hatte recht.

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