Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
durchleuchten. Und was glauben Sie? Er hatte ein dickes Meningeom auf dem Frontallappen. Gutartig. Das wurde ausgeschabt und nach ein paar Monaten war sein Gedächtnis wieder so gut wie früher. Bevor ich also etwas anderes in Erwägung ziehe, muss ich sichergehen«, er zeigte mit einem Finger auf die Stirn, »dass hier oben nichts wächst.«
Der Gedanke, dass Alan einen Gehirntumor haben könnte, machte sie fast krank. »Jetzt verstehe ich, warum Sie sich nicht in Monroe untersuchen lassen wollen.«
»Genau. Zu nah. Zu viele neugierige Kuratoriumsleute.«
»Diese Mistkerle!«, sagte sie. »Ich kann nicht glauben, dass die so mit Ihnen umgesprungen sind. Erst Ihre Verträge kündigen und dann die Nachricht sofort an den Express weitergeben!«
»Ja«, sagte er weich. Sie spürte seine Verletzung und Demütigung. »Ich habe mit der öffentlichen Hinrichtung nicht vor einer Anhörung gerechnet. Jedenfalls bin ich mit einem der Radiologen in der Universitätsklinik da unten zur Schule gegangen. Und bei ihm habe ich heute einen Termin für eine Computertomografie.«
»Sind Sie wegen dieser Sache noch bei einem anderen Arzt gewesen?«
Alan lächelte. »›Ein Arzt, der sich selbst behandelt, hat es mit einem Trottel als Patient zu tun.‹ Darauf wollen Sie doch hinaus, oder? Ich behandele mich ja nicht selbst, ich versuche nur, Informationen für eine Diagnose zu bekommen.«
»Aber falls es notwendig sein sollte, gibt es da jemanden, an den Sie sich wenden würden?«
»Ach, da gibt es eine Menge Leute, denen ich vertrauen würde. Wir haben hier in der Gegend so eine Art informelles Netzwerk, wohin man seine Patienten überweist, oder wo man mal eine zweite Meinung einholt. Nach einer Weile bekommt man ein Gespür dafür, wer sich um seine Patienten schert und wer nicht. Da man davon ausgehen kann, dass die fachliche Kompetenz bei diesen Ärzten annähernd gleich sein dürfte, würde ich solchen Ärzten meinen Vorzug geben. Vic O’Leary wäre wahrscheinlich meine erste Wahl, falls ich einen Termin brauche. Ich ver traue ihm die Vertretung meiner Praxis an, wenn ich nicht da bin, also sollte ich ihm auch meine eigene Gesundheit anvertrauen können. Aber im Augenblick will ich ihn noch nicht in diese Verlegenheit bringen.«
Sylvia saß schweigend da und schmorte in der Angst, dass mit Alan etwas Ernsthaftes sein könnte. Dann wurde ihr klar, wenn sie schon so verängstigt war, dann musste er sich noch viel schlimmer fühlen.
Sie fand seine Hand und drückte sie.
»Angst?«
»Ein wenig«, sagte er mit einem Schulterzucken. Dann sah er sie an und lächelte. »Okay – eine ganze Menge.«
»Dann bin ich froh, dass ich mitgekommen bin. Niemand sollte so etwas allein durchstehen müssen.«
Ihre Hand blieb für den Rest der Fahrt in seiner.
Während sie auf dem obersten Deck des Parkhauses in der Nähe der Universitätsklinik auf ihn wartete, versuchte Sylvia, die Zeitung zu lesen, versuchte, das Kreuzworträtsel in der Times zu lösen, versuchte, einen Roman zu lesen – nichts schien sie von Alan abzulenken. Höchstens der Gedanke an Jeffys fortschreitende Regression. Und das war kaum eine Erleichterung.
Bitte! Bitte, Gott, du kannst nicht zulassen, dass Alan etwas fehlt. Er ist einer von den Guten. Lass einen von den bösen Jungs einen Hirntumor haben. Aber nicht Alan.
Sie lehnte sich in den Sitz zurück und schloss die Augen. Es ging nicht nur darum, sie zu schonen, sie wollte sich mindestens so sehr vor der Welt abschotten. Warum? Warum verschlangen Tod und Krankheit und Unglück jede Person, die ihr etwas bedeutete? Zuerst Gregs sinnloser Tod, dann Jeffys Rückschritte und jetzt Alan. Gab es einen Fluch, der auf ihr lastete? Vielleicht wäre es besser für alle, wenn sie einfach ein eisernes Gatter vor der Zufahrt zu Toad Hall anbringen ließ und das Anwesen nie wieder verließ.
Neunzig Minuten schlichen vorbei. Sylvia bekam Kopfschmerzen von der Anspannung, und alle Muskeln taten ihr weh, weil sie so lange reglos auf der Rückbank gesessen hatte. Sie wollte Ba gerade vorschlagen, aus dem Wagen zu steigen um sich die Füße zu vertreten, als es zu nieseln begann. Und dann sah sie Alan zwischen den geparkten Autos hindurch in ihre Richtung kommen. Er öffnete die Tür an der anderen Seite und stieg ein.
»Nun?«, fragte sie und hielt den Atem an.
»Ich habe eins.«
Sie keuchte auf. »Einen Tumor ?«
»Nein. Ein Gehirn – ein perfektes. Nichts gefunden.«
Impulsiv schlang sie ihre Arme um ihn und
Weitere Kostenlose Bücher