Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
du nicht mehr du selbst. Und du hast heute Morgen, als er anfing, dich auszufragen, ausgesehen, als ob du unter Drogen stehen würdest. Ich bin sicher, der Ausschuss denkt, dass du entweder irgendetwas nimmst oder übergeschnappt bist.«
Alan hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er hatte ihre Gesichter gesehen. Ein Gesicht hatte er jetzt noch vor Augen. Als Tony ihn aus dem Raum geschoben hatte, hatte Alan zurückgeblickt und bemerkt, wie Lou Alberts hinter ihm her schaute. Es war, als seien all die Jahre der Missgunst und des Konkurrenzdenkens wie weggewischt. Lous Gesicht zeigte nur Schock, Entsetzen und – was das Schlimmste war – Mitleid.
»Aber es kommt noch schlimmer, darauf kannst du wetten. Das Krankenhaus ist gesetzlich verpflichtet, die staatliche Prüfungskommission zu verständigen, wenn ein Mitarbeiter wegen vermuteter Unzurechnungsfähigkeit oder einer anderen Form von Inkompetenz suspendiert wird.«
Unzurechnungsfähigkeit … Inkompetenz … die Wörter fraßen sich in Alans Gehirn fest. Obwohl er doch ständig bemüht war, mit allen Neuerungen in der Medizin auf dem Laufenden zu sein, sollte er als inkompetent hingestellt werden, während so viele Ärzte mühelos mit antiquiertem Wissen und Behandlungsmethoden über die Runden kamen.
Er fuhr langsam zu einem Halteschild an einer Kreuzung und saß da und starrte geradeaus auf die Straße, während sich in seiner Brust ein fester Ball der Angst bildete und wuchs.
»Vielleicht haben sie recht«, sagte er. »Vielleicht brauche ich Hilfe.«
»Worüber redest du?«
»Ich finde mich nicht mehr zurecht, Tony. Ich weiß den Weg nicht mehr.«
»Mach dir keine Sorgen, Al. Ich stehe dir zur Seite. Wir werden uns zusammensetzen und –«
»Nein!«, sagte Alan, und er hörte, wie seine Stimme schrill wurde, als die Furcht sich auf seine Arme und Beine ausbreitete und ihn völlig umfasste. »Ich meine jetzt. Hier. Diese Straße! Ich weiß, ich war schon tausendmal hier, aber ich finde mich nicht mehr zurecht!«
Er wandte sich zu Tony und starrte in seine entsetzten Augen.
»Wie komme ich von hier nach Hause?«
24. Sylvia
»Sie müssen nicht mitkommen«, sagte Alan, als er in den Wagen stieg und neben ihr Platz nahm.
»Ich will aber«, sagte Sylvia und zwang sich zu einem Lächeln. Er sah so abgehärmt und müde aus; seine Augen hatten einen gehetzten Blick.
Als Ba anfuhr, sagte Alan: »Ich bin froh, dass Sie mitkommen. Darum fragte ich, ob ich Ba ausleihen könnte, anstatt einen Wagen zu mieten. Ich brauche bei dieser Sache einen Freund, und das sind Sie.«
Seine Worte wärmten ihre Seele. Sie war froh, dass er sie als jemanden sah, an den man sich in Zeiten der Not wenden konnte.
»Aber was ist mit …?« Sie beendete die Frage nicht.
»Ginny?« Er seufzte. »Wir sprechen kaum noch miteinander. Sie will, dass ich zum Psychiater gehe. Selbst Tony will das.«
»Und warum fahren Sie jetzt nach Süden? Gehen Sie da zum Psychiater?« Sie wollte ihm eigentlich sagen, dass er der zurechnungsfähigste Mann war, den sie kannte, ließ das dann aber. Ihre Einschätzung war völlig subjektiv.
»Nein. Kein Psychiater – zumindest jetzt noch nicht. Ich möchte vorher etwas ausschließen.«
»Verraten Sie mir, was?«, fragte sie nach einer längeren Pause, in der er in einen Trancezustand überzugehen schien. Doch als er sprach, ließen seine Worte ihr Blut gefrieren.
»Ich muss einen Gehirntumor ausschließen.«
»Oh Gott. Sie können doch nicht –«
»Ich kann meinen Kopf nicht länger in den Sand stecken, Sylvia. Mein Gedächtnis ist wie ein Sieb. Warum, glauben Sie wohl, fahre ich nicht selber? Weil ich mich nicht mehr zurechtfinde! Oder einfach vergesse, wohin ich will! Verdammt, letztens habe ich den Weg vom Krankenhaus zurück nicht mehr gefunden.«
»Könnte das nicht auch Stress sein?«, fragte sie und betete um eine einfache Antwort.
»Es könnte, aber das ist eine armselige Diagnose. Es könnte, soviel ich weiß, in direktem Zusammenhang mit dem Dat-tay-vao stehen. Aber ich muss auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ein Tumor dahinterstecken könnte. Vor ein paar Jahren hatte ich einen Patienten, der genau die gleichen Symptome hatte wie ich. Aber er war ein paar Jahre älter, daher hielt ich das für eine neurodegenerative Erkrankung – Alzheimer, oder so etwas. Aber die Verschlechterung seiner Symptome erfolgte für meinen Geschmack viel zu schnell – so schnell wie bei mir –, deswegen ließ ich seinen Schädel
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