Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
er hinter seinem Schreibtisch. »Wir erfassen und registrieren seine Daten im Wachzustand und im Schlaf, nehmen rund um die Uhr Urinproben und du bekommst ihn in zweiundsiebzig Stunden zurück. Bis dann haben wir alles über ihn in Erfahrung gebracht, was es da zu wissen gibt. Ansonsten würde es ewig dauern, wenn wir die ganzen Ergebnisse stückchenweise zusammensetzen müssten.«
»Ich weiß«, sagte sie. Jeffy saß auf ihrem Schoß, und sie hielt ihn eng an sich gedrückt. »Es ist nur, dass er seit Jahren nicht über Nacht weg war. Was ist, wenn er mich braucht?«
»Sylvia, meine Liebe«, sagte Charles, und sie ärgerte sich über den herablassenden Ton, »wenn er nachts nach dir rufen sollte, werde ich persönlich den Helikopter der Stiftung zu dir schicken, um dich zu holen. Es wäre ein beispielloser Durchbruch.«
Sylvia sagte nichts. Charles hatte recht. Inzwischen interagierte Jeffy mit niemandem mehr, nicht mit seinen Lieblingstieren, nicht einmal mit sich selbst. Sie fragte sich, ob er es überhaupt bemerken würde, dass sie nicht da war.
»Was ist noch mit dir?«, fragte Charles. Sie sah auf – er betrachtete ihr Gesicht. »Ich habe dich noch nie so deprimiert gesehen.«
»Ach, es ist eine Menge. Kleine Sorgen, große Sorgen – angefangen von meinem Lieblingsbonsai, der an Wurzelfäule leidet, bis hin zu Alan, der vom Krankenhaus suspendiert worden ist und möglicherweise seine Zulassung verliert. Alles ging so lange gut; und jetzt scheint auf einmal alles aus dem Ruder zu laufen.«
»Bulmers Probleme sind nicht deine.«
»Ich weiß.« Sie hatte seit der Party kaum Kontakt zu Charles gehabt, daher konnte er nicht wissen, wie sehr sich ihre Gefühle für Alan entwickelt hatten.
»Du bist nicht mit ihm verheiratet.«
Lag da eine Spur Eifersucht in Charles’ Stimme?
»Und nach dem, was ich hörte, ist vor allem er selbst schuld an seinen Schwierigkeiten. Für mich klingt das so, als würde er allmählich selbst glauben, was die Regenbogenpresse über ihn schreibt.«
»So wie Alan es sagt, sind die Geschichten wahr. Und Ba erzählte mir, dass er so etwas Ähnliches in Vietnam gesehen hat, als er noch klein war.«
Charles schnaubte verächtlich. »Dann sollte man Bulmer die Zulassung wirklich entziehen, weil er praktiziert, obwohl er nicht alle Tassen im Schrank hat!«
Sylvia nahm ihm das übel und verteidigte Alan augenblicklich.
»Er ist ein guter, liebenswürdiger, anständiger Mann, der da ans Kreuz genagelt wird!« Aber ihre Wut kühlte sich schnell wieder ab, denn was Charles gesagt hatte, entsprach auch den winzigen Stacheln des Zweifels, die schon seit Wochen an ihr nagten.
»Du hast ihn doch kennengelernt. Hattest du den Eindruck, dass er ins Irrenhaus gehört?«
»Paranoiden gelingt es meistens, vollkommen normal zu wirken, bis man sie in ihrer Wahnvorstellung ertappt. Dann können sie verdammt gefährlich werden.«
»Aber Ba –«
»Bei aller gebührenden Hochachtung vor deinem Hausmeister, Sylvia, aber er ist ein ungebildeter Fischer aus einem Kulturkreis, in dem die Geister der Vorfahren angebetet werden.« Er stand auf, trat vor den Schreibtisch und lehnte sich dagegen. Mit verschränkten Armen sah er auf sie herab. »Sag mir: Hast du jemals gesehen, wie Bulmer eines dieser Wunder vollbracht hat?«
»Nein.«
»Kennst du jemanden persönlich, der unheilbar krank war und der völlig gesund von ihm zurückgekommen ist?«
»Nein, aber –«
»Dann hüte dich vor ihm. Wenn etwas wider alle Regeln ist und es nicht gesehen oder gehört oder berührt werden kann, dann existiert es nicht! Es existiert nur im Kopf von jemandem. Und dieser Mann hat dann den Kontakt zur Realität verloren und ist potenziell gefährlich!«
Sie wollte das nicht hören. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Alan gefährlich war. Charles attackierte einfach jemanden, den er allmählich als Rivalen betrachtete.
Und doch … was, wenn er doch recht hatte?
30. Alan
Alan goss sich einen Scotch ein, sobald er das Haus betrat. Er mochte doch Scotch, oder? Er nippte und entschied, dass er ihm schmeckte. Er ließ sich auf die Couch fallen und lehnte den Kopf nach hinten zurück.
Die Fahrt war eine Qual gewesen. Hätte er nicht die Geistesgegenwart besessen, sich den Weg von zu Hause zur Praxis und wieder zurück aufzuschreiben, bevor er losgefahren war, würde er immer noch herumkurven. Sein Gedächtnis war völlig im Eimer. Selbst in der Praxis, als der Mann mit der Wirbelsäulenversteifung
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