Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
Freundschaft. Er nahm sich ihr gegenüber auch nichts heraus. Im Gegenteil, obwohl er angeblich ein so alter Freund war, schien er äußerst bemüht, ihr nicht zu nahe zu kommen.
Und trotzdem hegte Jonah den Verdacht, dass der Priester dem Einen irgendwie Schaden zugefügt hatte. Egal ob unbewusst oder mit Absicht, es bedeutete, dass er eine potentielle Gefahr war. Man musste ihn im Auge behalten.
Gefahren drohten auf allen Seiten. Aber Jonah hatte jetzt wenigstens eine Gefahr erkannt. Und er würde sich auch vor anderen vorsehen.
Sorge dich nicht, beschwor er den Einen. Ich werde dich beschützen.
Er hatte nicht vor, die Frau in den kommenden acht Monaten aus den Augen zu lassen.
2.
Carol bemerkte, wie sehr Bill darauf achtete, dass das Gespräch während der Heimfahrt unverfänglich blieb. Während sie dem durch statisches Rauschen verzerrten Radioempfang in dem zerbeulten alten Ford Kombi des Waisenhauses lauschten, machte er Bemerkungen über die Musik, das für die Jahreszeit ungewöhnlich warme Wetter, und er erzählte ihr, wie sehr seine begrenzten Mechanikerfähigkeiten strapaziert wurden, um diese alte Kiste überhaupt am Laufen zu halten. Aber sein Gesicht verdüsterte sich, als der Nachrichtensprecher Bobby Kennedys Ankündigung meldete, sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat zu bewerben.
»Dieser feige Emporkömmling! Was für ein Arschloch! McCarthy macht die ganze Arbeit, verwundet den Drachen, und dann erst tritt Kennedy in den Ring.«
Carol musste lächeln. Sie konnte sich nicht erinnern, Bill jemals zuvor wirklich wütend erlebt zu haben. Sie wusste, was Jim dazu sagen würde: »Das ist Politik, Bill.«
»Das ist zum Kotzen!«
Als sie in die Einfahrt zur Villa einbogen, bemerkte Carol Emmas Wagen.
»Sie ist bereits da.«
Bill ließ den Kombi vor der Tür ausrollen. »Ich schätze, du kannst die Hilfe gebrauchen, meinst du nicht?«
Carol zuckte die Achseln, weil sie nicht zugeben wollte, dass er recht hatte. Sie fühlte sich jetzt ganz gut – sogar noch besser, als sie sich gestern gefühlt hatte –, aber sie war trotz allem noch wacklig auf den Beinen. Doktor Gallen hatte gesagt, sie hätte eine Menge Blut verloren, aber auch wieder nicht so viel, dass eine Bluttransfusion zwingend notwendig wäre. Er sagte, es wäre besser, wenn ihr Knochenmark selbst die Fehlmenge ausgleichen würde. Vielleicht brauchte sie also wirklich jemanden um sich herum, auf den sie sich dann und wann stützen konnte. Aber Emma …
»Sie meint es ja gut. Und sie hat sicher das Herz auf dem rechten Fleck. Aber sie redet ununterbrochen. Manchmal habe ich das Gefühl, ihr unaufhörliches Geplapper macht mich wahnsinnig.«
»Nur eine nervöse Angewohnheit, schätze ich mal. Und du solltest nicht vergessen, dass auch sie jemanden verloren hat. Vielleicht braucht sie das Gefühl, gebraucht zu werden.«
»Wahrscheinlich.« Carol hatte plötzlich einen Kloß im Hals. »Aber das ist ein anderer Teil des Problems: Sie erinnert mich an Jim.«
Bill seufzte: »Nun ja, dafür kann sie nichts. Arrangiere dich einfach für ein paar Tage damit. ›Bring dieses Opfer‹, wie die Nonnen bei uns zu sagen pflegten. Es wird euch beiden gut tun. Und ich wiederum fühle mich besser, wenn ich weiß, dass du hier nicht allein bist.«
»Danke, dass du dich um mich sorgst«, sagte Carol und meinte es auch so. »Es muss hart für dich sein, nach der Art, wie ich mich Freitag aufgeführt habe.«
»Das habe ich bereits vergessen«, sagte er mit einem Lächeln.
Aber der Hauch von Unbehagen in diesem Lächeln verriet, dass er es nicht vergessen hatte. Wie könnte man so etwas auch vergessen? Sie hatte sich vor diesem alten Freund von ihr die Kleider vom Leib gerissen, vor einem Priester, und hatte sich ihm an den Hals geworfen. Sie war so weit gegangen, dass sie versucht hatte, ihm in die Hose zu fassen! Sie schüttelte den Kopf schon beim Gedanken daran.
Ich weiß immer noch nicht, was in mich gefahren ist. Aber ich schwöre, es wird nie wieder vorkommen. Du musst mir verzeihen.«
»Das tue ich.« Diesmal war nichts Gezwungenes in seinem Lächeln. »Ich könnte dir nahezu alles verzeihen.«
In die freudige Erleichterung mischte sich auch ein kurzes heftiges Gefühl des Widerwillens über seine großzügige Haltung.
Es verschwand so schnell, wie es gekommen war, aber es war unzweifelhaft da gewesen. Sie fragte sich, wieso.
Bill sprang aus dem Wagen und lief zur Beifahrertür, um ihr auf die Beine zu
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