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Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung

Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung

Titel: Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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beherrschen konnte, nicht in ekstatisches Lachen auszubrechen.
    Aber er wusste, er musste ruhig bleiben, musste gedrückt und verloren wirken wie jeder andere auch. Denn in diesem Augenblick wusste er, dass er anders war als die Menschen um ihn herum.
    Anders als alle anderen.
    Danach dauerte es Jahre mühseligen Ausprobierens, aber er lernte es, sein Anderssein vor der Welt zu verstecken. Schließlich fand er sogar legale, nützliche Wege, seine Gelüste im Zaum zu halten. Und im Laufe der Jahre hatte er auch gelernt, dass er die normale Sehkraft seines zerstörten Auges für eine andere Art von Sicht eingetauscht hatte. Diese andere Art zu sehen hatte ihn heute Nacht aus dem Schlaf gerissen.
    Sein gutes Auge strahlte, als er auf das Gaspedal trat.
     
    Manhattan
     
    7.
     
    Carol registrierte erleichtert, dass Jim von einem kurzen Abstecher zur Toilette zurückkam. Sie und Bill waren für ein paar Minuten an einem Tisch in dieser schmierigen Bar irgendwo an einer Ecke der Bleeker Street allein gewesen und das Gespräch war ins Stocken geraten. Bill wirkte so zugeknöpft, wenn er mit ihr allein war.
    »Wie wäre es mit noch ’ner Runde?«, fragte Jim.
    Carol wollte nichts mehr trinken – sie war schon vor einiger Zeit zu Pepsi übergegangen – und sie wollte auch nicht, dass Jim weitertrank. Sie hätte gern etwas gesagt, aber nicht, wenn Bill dabei war – sie wollte auf keinen Fall vor Bill als quengelnde Ehefrau dastehen. Also hielt sie sich zurück.
    Außerdem hatte er noch nicht angefangen, über Warzen zu reden.
    »Einen noch«, sagte Bill. »Dann ist aber Feierabend.«
    Die haben je ein endloses Fassungsvermögen, dachte sie. Wo lassen die das alles nur?
    »Carol?«, fragte Jim und deutete auf ihr Glas.
    Sie sah auf die abgestandene braune Flüssigkeit hinunter, die langsam Raumtemperatur annahm, auf den dünnen öligen Film an der Oberfläche – wäscht hier eigentlich jemand ab? – und beschloss, dass es für sie jetzt reichte.
    »Ich habe genug. Und ich glaube, ihr beide auch.«
    Jim lachte: »Nee! Wir fangen doch gerade erst an!«
    Er bestellte noch zwei Bier, dann drehte er sich zu Bill um und deutete mit dem Finger auf ihn.
    »Schnell! ›Theologie ist Anthropologie.‹«
    »Ähem.« Bill kniff die Augen zu. »Feuerbach, glaube ich.«
    »Stimmt. Wie steht es mit: ›Wir gehen auf eine Zeit zu, in der es gar keine Religion mehr geben wird.‹?«
    »Bonhoeffer.«
    Jim nickte. »Ich bin beeindruckt.«
    Bill zwinkerte ihn an. »Bemerke ich da einen gemeinsamen Nenner in diesen Zitaten? Will der Atheist aus dem Village mir damit etwas sagen?«
    Carol ließ ihre Gedanken schweifen. Sie schenkten ihr so wenig Beachtung, sie hätte genauso gut zu Hause in Monroe bleiben können. Wenigstens war es hier im Back Fence ruhiger. Keine Live-Musik, nur aus der Konserve. »Boogaloo Down Broadway« hämmerte soeben sanft im Hintergrund. Weil es hier relativ ruhig war, hatten die beiden angefangen zu diskutieren und seitdem debattierten sie wie Erstsemester über den Sinn des Lebens und alles andere.
    Vielleicht war das typisch männlich. Männerfreundschaft – war das nicht das, was Lionel Tiger da beschrieben hatte?
    Bill sah sie an und grinste strahlend. Offenbar fühlte er sich mit ihr jetzt sehr viel besser, wo Jim wieder da war. Er schien mit sich im Reinen. Ein Mann, der wusste, wer er war, ein Idealist, der sicher war, dass er seinem Leben einen Sinn gegeben hatte.
    Sie hatte den Verdacht, dass unter dieser Oberfläche Ehrgeiz und Unzufriedenheit wogten, aber sie entdeckte nichts von dem wilden Aufruhr, der, wie sie wusste, im Innern ihres Mannes tobte, James dem Skeptiker, James dem Zerpflücker – gab es ein solches Wort überhaupt? – von allgemein akzeptiertem Wissen und aus dem Lehrbuch vermittelter Erkenntnis.
    Seltsamerweise fand sie beide Extreme ansprechend.
    Sie sagte: »Was bin ich froh, wenn ihr beide mal für zehn Sekunden aufhört, euch zu streiten.«
    Bill hielt inne, mit dem Rand seines Budweiser-Glases ein paar Millimeter vor seinen Lippen. »Carol, wusstest du nicht, dass Jim und ich uns schon vor langer Zeit darauf geeinigt haben, dass wir nie über etwas einer Meinung sein würden?«
    »Ganz genau!«, rief Jim und die beiden wollten sich fast ausschütten vor Lachen.
    Plötzlich verstummte Jim. Sein Gesicht wurde ernst.
    »Warzen so komisch daran?«
    »Warzen?« Carol war sofort auf der Hut. »Hat er ›Warzen‹ gesagt?«
    »Natürlich«, sagte Bill. »Wir warzen doch schon die ganze

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