Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
hatte von den Lebensgeschichten und Taten der Heiligen gelesen, und selbstverständlich de Chardin, aber er hatte auch Heidegger, Kierkegaard, Camus und Sartre studiert.
Damit war er leicht fertig geworden. Aber wurde er das auch mit Carol?
»Ich traue McCarthy nicht«, sagte Jim gerade.
Bill musste lachen: »Die Wiederkehr von Zynik-Man.«
»Er war nie weg«, sagte Carol.
Jim beugte sich vor. »Nein, ernsthaft. Ich traue keinem Politiker, der nur ein Thema auf seiner Agenda hat. Genau genommen traue ich gar keinem Politiker. Basta! Die politische Maschinerie scheint jeden zu korrumpieren, der sich darauf einlässt. Die Leute, die sich am besten für ein politisches Amt eignen würden, haben einfach einen zu guten Geschmack, um sich aufstellen zu lassen.«
»Ich glaube, Eugene McCarthy ist eine Ausnahme«, sagte Bill. »Und ich glaube, er hat eine wirkliche Chance, in New Hampshire zu gewinnen. Nach der Tet-Offensive ist ein großer Teil der Bevölkerung gegen den Krieg.«
Jim schüttelte den Kopf. »Wir sollten zuerst unseren eigenen Hinterhof aufräumen, und uns um unsere Nachbarn kümmern, dann können wir uns Gedanken um den Rest der Welt machen. Wenn alle das tun würden, dann gäbe es gar nicht so viel auf der Welt, um das wir uns sorgen müssten. Noch ein Bier?«
»Gerne.«
»Gut. Warten wir mal, wie die nächste Band klingt. Wenn die schlecht ist, kenne ich einen Laden, wo es ruhiger ist.«
Monroe
5.
Eine plötzliche Bewegung neben ihr riss Emma Stevens aus dem Schlaf. Jonah saß plötzlich senkrecht im Bett.
»Was ist los?«
»Ich muss weg!«
Seine Stimme klang gepresst, erschrocken. Und das ängstigte sie. Jonah zuckte nie zusammen, ließ sich durch nichts überraschen, zeigte nie eine Schwäche. Alles, was er tat, war genau abgewogen. Er hatte Nerven wie Drahtseile.
Aber jetzt war er nervös. Sie konnte sehen, wie er neben ihr im Dunkel saß, die Hand über sein gesundes rechtes Auge gelegt, während er mit dem blinden Auge in die Nacht hinausstarrte, als könne er damit etwas sehen.
»Hattest du eine Vision?«
Er nickte.
»Worum ging es?«
»Das würdest du nicht verstehen.«
Er sprang aus dem Bett und begann, sich anzuziehen.
»Wo gehst du hin?«
»Nach draußen. Ich muss mich beeilen.«
Emma schlug ihre Bettdecke zurück. »Ich komme mit.«
»Nein!« Das Wort klang wie ein Peitschenschlag. »Du bist mir dabei nur im Weg. Bleib hier und warte.«
Damit stürzte er aus dem Zimmer.
Emma zog die Bettdecke wieder über sich und zitterte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ihren Ehemann das letzte Mal in Eile gesehen hatte. Doch, das konnte sie. Das war im Winter 1942 gewesen … als er zum Waisenhaus gehastet war.
6.
Jonah raste über die Glen Cove Road dem Expressway entgegen.
Etwas Schreckliches wird passieren!
Er war sich nicht sicher, wieso, aber der Eine war in naher Zukunft in tödlicher Gefahr. Ob durch einen simplen Zufall oder durch die Machenschaften der anderen Seite, war unklar. Aber er musste sich beeilen oder sein ganzes Leben bis zu diesem Augenblick war bedeutungslos.
Er presste die Hand auf sein rechtes Auge. Ja, da, westlich von ihm, ein rotes Leuchten der Gefahr in seinem linken Auge.
Sein ganzes Leben bis zu diesem Augenblick schien bedeutungslos …
Es war, als habe er sich schon immer auf das vorbereitet, was jetzt in diesen Tagen passierte. Aber das stimmte nicht. Erst seit er neun war. Damals hatte er gelernt, dass er anders war als all die anderen.
Er erinnerte sich an den Tag im Jahr 1927, als die Sturzflut durch die Straßen seiner Heimatstadt raste. Das war das, was später als die Große Flut von 1927 in die Geschichtsbücher einging. Bis dahin hatte er sich, wenn er überhaupt über sich nachdachte, für einen ganz normalen Bauernjungen gehalten. Er hatte, wie alle anderen auch, Käfer bei lebendigem Leibe verbrannt, Schmetterlingen die Flügel ausgerissen oder kleine Kätzchen gequält und getötet. Und all das machte ihm Spaß. Seine Familie war schockiert und hatte vielleicht auch ein wenig Angst vor ihm, aber ging es in der Kindheit nicht gerade darum – zu lernen, Dinge auszuprobieren? Er hatte angenommen, dass alle Kinder solche Experimente machten, aber er wusste das nicht genau, denn er hatte keine Brüder und Schwestern und keine wirklichen Freunde.
Die Große Flut veränderte all seine Ansichten und Einstellungen.
Er hatte das Glück gehabt, draußen am Stall zu sein, als die Wassermassen die Stadt
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