Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
sich gut dabei, überlegen.
Es konnte nur einen Grund geben, warum Stevens so reagierte: Er hatte etwas in seiner Vergangenheit entdeckt, das nicht publik werden sollte. Das war es.
Gerry Becker schwor sich, dass er diese Leiche aus dem Keller ans Tageslicht zerren würde, koste es, was es wolle.
4.
»Jim?«
Keine Antwort.
Das Haus schien leer. Carol hatte das gespürt, sobald sie es betreten hatte, trotzdem hatte sie gerufen.
Es war so still. Staubkörner glitzerten und drehten sich in der Spätnachmittagssonne, die durch die vorderen Fenster fiel. Carol sah sich um, ob Jim ihr eine Nachricht hinterlassen hatte. Als sie nichts fand, ging sie zum Telefon, um in der Hanley-Villa anzurufen.
Sie war wütend. Sie hatte genug von Jims Spielchen. Das sollte eigentlich ein schöner Tag sein. Sie hatte einen glücklichen und dankbaren Mr Dodd nach Hause zu seinen Töchtern entlassen – er würde bei Maureen leben, und Catherine nahm ihn an den Wochenenden zu sich – und eigentlich wäre sie jetzt in bester Stimmung, wenn Jims geheimnisvolles, unerklärliches Verhalten nicht wäre.
Sie wollte gerade wählen, als sie ein Rascheln aus dem Arbeitszimmer hörte. Ein Schritt zur Seite, ein Recken des Halses und sie sah seine Silhouette. Er saß auf dem ausziehbaren Sofa.
Er starrte vor sich hin, ohne etwas wahrzunehmen. Er wirkte so verloren, so vollkommen am Boden zerstört, dass ihr nach Weinen zumute war. Als sie zu ihm gehen wollte, sah sie, wie sich seine Augen schlössen und sein Kopf gegen das Kissen sank. Sein Atem kam langsam und rhythmisch und die Anspannung verschwand aus seinem Gesicht. Er war eingeschlafen.
Carol sah ihm ein paar Minuten zu. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn aufzuwecken. Wenigstens in diesem Augenblick war er den Dämonen entkommen, die ihn verfolgten, auch wenn sie nicht einmal wusste, welcher Art die waren.
Und dann sah sie die Quelle dieser Dämonen – die Notizbücher aus dem Safe –, die neben ihm auf dem Sofa lagen.
Ihr erster Gedanke war es, sie zu holen und selbst herauszufinden, was ihn so verstört hatte, aber sie zögerte. Was, wenn er aufwachte und sie entdeckte, wie sie sich damit aus dem Raum schlich? War das nicht ein unentschuldbarer Eingriff in seine Privatsphäre?
Aber verdammt noch mal, das betraf schließlich auch sie.
Sie schlich sich auf Zehenspitzen zum Sofa und zog sachte die Bücher neben ihm weg. Es gab einen kritischen Moment, als das kleine schwarze Buch ihr fast entglitten und beinahe auf Jims Schoß gefallen wäre, aber sie fing es gerade noch auf und schlich sich wieder aus dem Raum, ohne Jim aufzuwecken.
Sie nahm sie mit in ihr Schlafzimmer und begann mit zitternden Fingern, eine der grauen Kladden durchzublättern.
5.
Gerry Becker fuhr ungefähr zwanzig Meter hinter dem Stevens-Haus an den Straßenrand. Vorher war er Jim bei seinem Spaziergang von der Hanley-Villa bis hierher gefolgt und hatte dabei die ganze Zeit das Bedürfnis unterdrückt, das Gaspedal durchzutreten und ihn über den Haufen zu fahren. Dann wäre diese beschissene Angelegenheit endlich erledigt. Er könnte den Artikel mit einem Nachruf beenden.
Aber es würden zu viele offene Fragen bleiben.
Also war er eine Zeit lang herumgefahren, bis Stevens Frau nach Hause gekommen war. Jetzt, als es stockfinster geworden war, war er wieder hier. Er hatte sich vorgenommen, hier in der Kälte auszuharren, bis jeder im Haus im tiefsten Schlummer lag. Und in aller Herrgottsfrühe würde er mit einer Thermoskanne Kaffee wieder hier sein. Er würde Stevens nicht mehr aus den Augen lassen. Irgendwann würde der einen Fehler machen und sich eine Blöße geben, aus der man Kapital schlagen konnte.
Er zündete sich einen Joint an, wickelte sich in die Wolldecke, die er mitgebracht hatte, und beobachtete die erhellten Fenster. Er wusste, er würde seine Chance bekommen, wenn er nur lange genug wartete. Und er war sicher, die Warterei würde sich lohnen.
6.
Stunden waren vergangen und Jim schlief immer noch tief und fest. Vielleicht hatte er seit Montagmorgen nicht mehr geschlafen. Es war Carol aber auch ganz recht, weil sie einfach nicht weiterkam. Sie schüttelte resigniert den Kopf, als sie einen weiteren der grauen Journalbände überflog. Das war einfach zu komplex. Da sie keine Ahnung hatte, wonach sie überhaupt suchte, konnte sie die ganze Nacht damit verbringen, die verschnörkelte Handschrift zu entziffern, ohne etwas in Erfahrung zu bringen.
Sie klappte das
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