Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
auch wenn die nervös und besorgt klang.
»Stimmt etwas nicht?«
»Es geht um Jim. Er hat sich durch die alten Notizbücher von Dr. Hanley gearbeitet, auf der Suche nach der Identität seiner Mutter. Ich glaube, er hat etwas herausgefunden, das ihn wirklich verstört hat.«
»Was?«
»Er will es mir nicht sagen. Ich mache mir Sorgen, Bill. Er klingt, als würde er jeden Moment explodieren. Wir haben zwar ausgemacht, heute Abend alles zu besprechen, aber das ist noch so lange hin. Ich habe gedacht, vielleicht könntest du ja …«
»Ich rufe ihn sofort an.«
Die Erleichterung in ihrer Stimme drang durch den Hörer. »Würdest du das wirklich tun? Oh, vielen Dank. Ich will dir wirklich nicht zur Last fallen, aber …«
»Carol. Dafür sind Freunde schließlich da. Mach dir keine Gedanken deswegen.«
Nachdem er sich die Nummer notiert und sich verabschiedet hatte, saß Bill für einen Moment da, den Hörer in der Hand, und dachte nach.
Schon wieder Carol. Er schien ihr nicht entkommen zu können. Gerade als er meinte, er hätte die immer wiederkehrenden Gedanken an sie im Griff, da spricht sie am Telefon ein paar Worte mit ihm und schon wieder ist er voll entflammt. Das musste aufhören. Er musste das in den Griff bekommen.
Aber zuerst musste er sich um die Sache mit Jim kümmern.
Er zog das Telefon näher heran, zögerte dann aber. Als Priester gab er häufig seelsorgerischen Rat im Beichtstuhl. Aber dabei ging es um Fremde, und die hatten dabei den ersten Schritt getan, indem sie zu ihm gekommen waren.
Das hier war etwas anderes. Jim war ein alter Freund und nach dem, was er gehört hatte, wollte er nicht über das reden, was ihm zu schaffen machte.
Etwas, das Jim zu schaffen machte … Kaum vorstellbar. Jim Stevens war ein Fels in der Brandung, der sich für gewöhnlich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ.
Außer, wenn es um seine Herkunft ging.
Als sie letzte Woche miteinander aus waren, war Bill aufgefallen, dass Jim von dem Rätsel um seine Herkunft besessen war, und das machte seine psychologischen Abschottungsmechanismen angreifbar.
Wie sich das anhört: Bill Ryan, Jesuit, Hobbyanalytiker.
Schließlich hatte er aber auch im Priesterseminar viele Psychologie-Kurse belegt. In seinen Augen war der Zwischenbereich zwischen dem menschlichen Verstand und dem menschlichen Gefühl der Ursprungsort des Glaubens. Wenn man den Glauben eines Menschen erforschen will, dann muss man verstehen, wie dieser Mensch tickt. Und dann kann man den Glauben auch nur verstehen, wenn man die menschliche Psyche begreift.
Was konnte Jim erfahren haben, dass es ihn so aus der Bahn warf?
Er verspürte einen unerklärlichen Anflug von tiefer Trauer für seinen alten Freund. War der eingefleischte, unerschütterliche Rationalist auf etwas gestoßen, was er nicht akzeptieren konnte? Wie tragisch.
Er wählte die Nummer, die Carol ihm gegeben hatte. Als er Jims schroffe Stimme am anderen Ende hörte, bemühte er sich, ausgesprochen jovial zu wirken.
»Jimbo. Ich bin’s, Bill Ryan. Wie geht’s?«
»Ganz toll.« Die fehlende Intonation versuchte gar nicht, die Lüge in den Worten zu kaschieren.
»Hast du dich langsam dran gewöhnt, zum reicheren Teil der Menschheit zu gehören?«
»Ich arbeite noch dran.«
»Und was gibt’s Neues?«
»Nicht viel.«
Das führte zu nichts. Bill beschloss, direkt auf den Punkt zu kommen.
»Und, hast du etwas über deine biologischen Eltern herausgefunden?«
»Wie kommst du auf diese Frage?« Es klang, als bereite es Jim Höllenqualen, diese Worte auszusprechen – die erste emotionale Reaktion, seit er den Hörer abgenommen hatte.
Volltreffer.
»Ich dachte nur so. Als wir letzte Woche essen waren, schienst du glücklich, endlich zu wissen, dass Hanley dein Vater war. Du hast gesagt, du würdest die Villa auf den Kopf stellen, um auch noch herauszufinden, wer deine Mutter ist.«
Jim sprach mit belegter Stimme. »Ja, na ja, vielleicht wusste ich da gar nicht so viel, wie ich eigentlich gedacht hatte.«
Was konnte er damit meinen?
»Tut mir leid, Jim, das verstehe ich nicht.«
Aber Jim hatte bereits das Thema gewechselt.
»Warte mal«, sagte er. »Hat Carol dich auf mich angesetzt?«
»Nun, sie macht sich Sorgen, Jim. Sie …«
»Es ist alles in Ordnung, Bill. Ich weiß, sie macht sich Sorgen. Ich habe mich ihr gegenüber nicht sehr gut verhalten. Aber ich werde das alles heute Abend klären – schätze ich.«
»Kann ich behilflich sein?«
»Bill – ich glaube nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher