Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
männlichen Keimzelle (einem Spermium) verschmilzt. Jede Keimzelle ist haploid, was bedeutet, dass sie nur über dreiundzwanzig Chromosome (den halben Chromosomensatz) verfügt. Wenn zwei Keimzellen miteinander verschmelzen, entsteht daraus eine vollkommen neue, diploide Person mit sechsundvierzig Chromosomen. Das Problem, das sich uns Möchtegern-Züchtern stellt, besteht darin, dass wir beim Auseinanderbrechen einer diploiden Zelle in zwei haploide Keimzellen nicht kontrollieren können, welche Gene in welche Keimzelle gelangen. Das verläuft nach dem Zufallsprinzip. Und damit ist alles möglich. Das ist eine brillante Möglichkeit für die menschliche Spezies, eine schier unendliche Vielfalt innerhalb der Strukturen unserer Spezies zu gewährleisten, und somit die Anpassung an verschiedene Umgebungen und Gegebenheiten zu ermöglichen. Aber für jemanden, der den gleichen Genotyp wieder und wieder reproduzieren will, ist es eine Katastrophe.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Nehmen wir Attila den Hunnen und kreuzen ihn mit Johanna von Orleans. Das könnte einen starken, tapferen, wilden, idealistischen Supersoldaten ergeben. Oder einen kleinen, mickrigen Buchhalter. Attila und Johanna, egal wie stark und tapfer und kampfesmutig jeder einzeln sein mag, könnten rezessive Gene für mickrige Buchhalter in ihren Chromosomen versteckt haben. Wenn wir haploide Keimzellen von jedem von ihnen miteinander verschmelzen, die einen starken Anteil an mickrigen Buchhalter-Genen in sich tragen, dann bekommen wir einen mickrigen Buchhalter. Die Verschmelzung von zwei zufälligen Keimzellen dieser beiden Ausgangspersonen könnte alles innerhalb von zwei Extremen ergeben. Man kann die Wahrscheinlichkeiten dabei geringfügig beeinflussen, wenn man sich die Vorfahren bis ins x-te Glied genau ansieht, aber es ist trotzdem ein Schuss ins Blaue. Und da sich Menschen nicht wie Karnickel und Mäuse vermehren, wären eine Menge Glück und viele Generationen selektiver Auswahl erforderlich, um eine Armee von Supersoldaten zu züchten.
Wir brauchten eine Möglichkeit, einen gewünschten Genotyp vollständig (und man kann das Wort vollständig hier gar nicht genug betonen), von Generation zu Generation weiterzugeben. Anders gesagt, wir brauchten eine Technik, mit der wir identische Zwillinge (oder Drillinge oder Vierlinge) in nachfolgenden Generationen reproduzieren konnten.
Wir mussten Wesen erschaffen, die genetisch vollkommen mit ihrem Elter (man beachte das Singular!) übereinstimmen.
Klone.
Es ging darum, zu erforschen, wie man ein menschliches Wesen klont.
Wenn man das von außen betrachtet und unbeteiligt darüber nachdenkt, ist diese Idee ziemlich beängstigend. Aber Derr und ich waren Feuer und Flamme dafür. Uns trieb der Entdeckergeist. Nichts ängstigte uns. Über Ethik und gesellschaftliche Verantwortung haben wir uns nicht den Kopf zerbrochen.
Es ging nur um eine einzige Frage: Wie?
Ein Stück Gewebe kam nicht in Frage. Der menschliche Körper ist eine komplexe Form sehr disparater Gewebetypen. Wir konnten nicht verschiedene Organe züchten und sie dann wie einen modernen Frankenstein zusammensetzen. Wir brauchten eine Möglichkeit, einen menschlichen Eierstock dazu zu bringen, eine Eizelle zu produzieren, deren Zellkern nicht haploid, sondern diploid war. Der Klonprozess würde dann durch Parthogenese stattfinden. Natürlich würde das immer zu weiblichen Klonen führen, aber es war ein Anfang.
Dann brachte uns eine zufällige Bemerkung von Derr auf den richtigen Weg: »Wie schade, dass wir nicht einfach ein paar Eizellen nehmen und den gewünschten Genotyp hineinstopfen können.«
Das war einer dieser seltenen Momente einer gemeinsamen Eingebung. Man sieht sich mit erstaunten Augen an, dann springt man auf und hüpft herum und wirft sich gegenseitig Ideen an den Kopf, als sei kollektiver Wahnsinn ausgebrochen. So waren wir nun einmal, Derr und ich.
Im Rückblick muss ich jetzt sagen, dass es vielleicht wirklich Wahnsinn war.
Aber es war eine großartige Form von Wahnsinn. Ich kann die Erregung, die uns erfasst hatte, gar nicht beschreiben. Und selbst aus heutiger Sicht würde ich die Zeit damals für nichts in der Welt hergeben. Wir teilten miteinander ein Gefühl der Weltherrlichkeit. Ich weiß nicht, ob es so ein Wort gibt, aber falls es das nicht tut, dann sollte es das. Wir fühlten uns, als seien wir auf der Schwelle epochaler Ereignisse, dass nur einen Tick von unseren suchenden Fingerspitzen entfernt das
Weitere Kostenlose Bücher