Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
beheizbar waren. Jetzt würde sich niemand dort aufhalten, die Strände und Promenaden wären wie ausgestorben. Die Häuser warteten auf die Mieter, die sie für den nächsten Sommer gebucht hatten – und die jetzt nicht mehr kommen würden. Ideal für seine Zwecke.
Er begann, die Lebensmittelkartons in sackkarrengerechten Stapeln neben der Tür anzuordnen. Morgen früh bei Sonnenaufgang würde er jeden Stapel mit einer Decke abdecken und ihn nach unten in den gemieteten Kombi fahren, der noch in der Tiefgarage stand.
Hank nahm eine Decke, rollte sich hinter seinen Wänden aus Konserven zusammen und begann, die Stunden bis zur Dämmerung zu zählen.
Während Carol zum mindestens zehnten Mal dem Besetztzeichen lauschte, beobachtete sie Jack und Glaeken, die sich auf der anderen Seite des Wohnzimmers gedämpft unterhielten. Jack war vor einiger Zeit gekommen und war bester Laune gewesen, weil er über den CB-Funk von jemandem namens Gia gehört hatte. Jetzt blickten er und Glaeken bei ihrer angeregten Unterhaltung gelegentlich in ihre Richtung, aber sie hatte bemerkt, dass die Blicke nicht ihr, sondern Bill galten, und das machte sie nervös.
Sie legte auf und wählte erneut die eigene Nummer. Immer noch besetzt. Sie hätte das Telefon am liebsten angeschrien, damit es klingelte. Sie musste mit Hank reden und die Dinge geradebiegen. Der Gedanke, er könne die Nacht allein in der Wohnung verbringen und glauben, sie hätte ihn im Stich gelassen, machte ihr schwer zu schaffen. Sie versuchte die Vermittlung zu erreichen, aber auch da nahm niemand ab. Das System schien komplett von Computern gesteuert. Sie fragte sich, wie lange die wohl durchhalten würden. Sie legte auf und sah Bill an.
»Immer noch besetzt. Glaubst, du, die Leitung ist defekt?«
»Klingt eher so, als würde er schmollen. Er wird darüber hinwegkommen.«
»Ich hoffe es. Schmollen ist genau das richtige Wort. Ich glaub einfach nicht, dass er sich so benimmt. Meinst du, das wird wieder?«
»Ich bin sicher, er kommt gut zurecht. Ich wünschte nur, er wäre deinetwegen so besorgt wie du seinetwegen.«
Wie wahr, dachte sie. Warum ruft er nicht an, um sich zu erkundigen, wie es mir geht?
Jack kam zu ihnen herüber und legte die Hand aufs Telefon.
»Stört es Sie, wenn ich einen Anruf tätige?«
»Nur zu«, sagte sie. »Mir hilft es gerade wirklich nicht.«
Sie und Bill entfernten sich vom Telefon, um ihm seine Privatsphäre zu lassen. Sie gingen zum Fenster hinüber. Carol sah Lichter und geschäftige Figuren unter sich.
»Was passiert da?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Bill. Er hob ein Fernglas von einem Beistelltischchen und blickte hindurch. »Die haben heute tagsüber mehrere Sprengladungen in dem Schacht gezündet. Scheint, als würden sie wieder versuchen, Insektenvernichtungsmittel zu versprühen.« Er reichte ihr das Glas. »Sieh selbst.«
Die Vorgänge auf der Sheep Meadow wurden durch die Linsen deutlich. Carol erinnerte sich, ein ähnliches Schauspiel gestern im Fernsehen verfolgt zu haben, ein Schauspiel, das in einem Blutbad endete.
»Ich glaube einfach nicht, dass die das noch einmal versuchen. Die Männer da unten müssen entweder sehr tapfer oder sehr dumm sein.«
»Ich würde mal sagen, weder das eine noch das andere. Sie machen ihren Job. Jeder andere kann ausflippen, die Hände in den Schoß legen und sagen, es ist ja sowieso alles egal, die Welt geht unter, also lassen wir es noch einmal richtig krachen, tun wir das, was wir uns nie zu tun getraut haben, als wir noch wussten, dass das seinen Preis haben würde. Betrinken wir uns, dröhnen wir uns zu, lasst uns vergewaltigen, plündern, morden, zerstören, alles dem Erdboden gleichmachen, einfach nur, weil uns danach ist. Aber es wird immer einen geringen Prozentsatz von Menschen geben, die auch weiterhin ihren Job machen, Leute mit einem außerordentlichen Pflichtgefühl, die sich verantwortlich fühlen, die es als ihre Pflicht ansehen, dafür zu sorgen, dass die Dinge weiterlaufen; Leute, die die Weltuntergangsstimmung ignorieren und einfach weitermachen. Leute, denen bewusst ist, dass, wenn man jetzt plötzlich ausflippt, das nichts anderes bedeutet, als dass das bisherige Leben nur eine Fassade war, dass man ein Heuchler gewesen ist, dass das Leben nicht viel mehr als eine gespielte Rolle gewesen ist. So als würde man sagen: ›Hey, weißt du, alles was ich bisher gesagt und getan habe – es war alles eine Lüge. Das hier, das ist das wirkliche Ich.‹ Ganz
Weitere Kostenlose Bücher