Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
Pazifik ist die Sonne noch nicht aufgegangen, aber auch so können Sie sehen, dass von der Insel Hawaii nichts als ein flammender, dampfender Kessel flüssiger Lava übrig geblieben ist. Wir können Ihnen den Ort, an dem die Große Insel untergegangen ist, nur von der Westseite aus zeigen. Die Wolke aus Rauch, Dampf, Asche und Trümmerstücken, die bis weit in den Himmel hinauf reicht, zieht nach Osten. Meteorologen sind im Augenblick damit beschäftigt, zu errechnen, wann die Aschewolke die Westküste erreichen wird. Von weltweiten Auswirkungen auf das Wetter ist mit Bestimmtheit auszugehen.
Wir können Ihnen keine Bilder zeigen, aber es gibt Meldungen über einen gigantischen Strudel vor der Küste Mauis, nördlich der ehemaligen Großen Insel. Man vermutet, dass dieser Strudel durch ein Loch ähnlich dem im Central Park verursacht worden ist, das sich in sechstausend Meter Tiefe auf dem Meeresgrund gebildet hat. Ob das einen Zusammenhang mit den Ereignissen auf der Großen Insel hat, wird zurzeit noch diskutiert.
Die Flammen, die Sie links auf unseren Bildern sehen können, stammen von einem weiteren Vulkan. Es wurde bestätigt, dass Haleakala, ein eigentlich erloschener Vulkan nur zehn Kilometer entfernt auf der Insel Maui, wieder aktiv ist. Obwohl ein großer Teil des Lavastroms an der östlichen Seite abfließt, weg von den dicht besiedelten Gebieten, wurde uns berichtet, dass die malerische Stadt Hana nicht mehr existiert. Sie wurde in der letzten Nacht von einer Lavawelle komplett überrollt.
< Schnitt zu Alice >
Währenddessen verschärfen sich die Zustände in Manhattan weiterhin dramatisch …
Glaeken starrte entsetzt auf den Fernsehschirm, achtete aber gar nicht auf die Bilder. Er hörte nur zu und hoffte auf neue Nachrichten über Maui. Als dann ein Interview mit einem Geologen gesendet wurde, der die These vertrat, das Loch in der Seestraße zwischen Hawaii und Maui habe den pazifischen Hotspot, der sich im Laufe der Jahrtausende um die hawaiianischen Inseln herum gebildet hatte, aus dem Gleichgewicht gebracht, schaltete Glaeken mit der Fernbedienung den Ton aus.
Offenbar hatte der Pförtner angerufen, während er sich auf das Fernsehen konzentriert hatte – er sah, wie Bill eine vertraute Gestalt in den Raum führte.
»Jack! Ich sehe, Sie haben die Nacht überstanden. Haben Sie sich um die ›Sache‹ gekümmert, über die wir gesprochen haben?«
Jack nickte, ein wenig bedrückt, wie es Glaeken schien.
»Ja. Alles erledigt.«
Bill ging wieder in die Küche, um Nick weiter zu füttern. Jack ließ sich in einen Sessel fallen.
»Kann ich etwas tun?«, fragte Glaeken.
Jack schüttelte den Kopf. »Ich habe ein paar Leute aufs Land rausgeschickt. Ich hoffe nur, dass sie unbeschadet an ihrem Zielort ankommen. In der Stadt herrscht Chaos.«
»Das habe ich auch gehört. Man sagt, die Nationalgarde sei alarmiert worden, aber weniger als die Hälfte der Leute erscheinen zum Dienst.«
»Das wundert mich nicht. Wahrscheinlich bleiben sie lieber zu Hause, um ihre Familien zu beschützen. Wer könnte es ihnen verdenken?«
»Sie hätten Ihre Leute hierher bringen sollen. Sie sind hier willkommen.«
»Als Sie weg waren, habe ich darüber nachgedacht, aber ich glaube, weit weg von der Stadt sind sie besser aufgehoben. Es gibt da aber trotzdem ein paar Freunde, die diese Zuflucht gebrauchen könnten. Gute Leute. Können Sie sie unterbringen?«
»Das Gebäude steht praktisch leer.«
»Wieso das? Eigentlich ist das doch eine Toplage.«
»Ich bin sehr wählerisch, was meine Nachbarn angeht.«
»Ja, aber …«, setzte Jack an, dann begriff er. »Sie meinen …«
»Ja. Das Gebäude gehört mir.« Als Jack sich mit einer Hand die Augen rieb, wechselte er das Thema. »Ich gehe davon aus, dass Sie das mit Maui gehört haben?«
»Nein. Was denn?«
Glaeken fasste die Nachrichten für ihn zusammen.
»Glauben Sie, dass sie noch am Leben ist?«
Glaeken nickte. »Die Chancen stehen gut. Sie lebt am Nordwesthang. Wenn sie zu Hause war …« Er stellte die Frage, die ihn mehr als alles andere beschäftigte. »Wann können Sie aufbrechen, Jack?«
»Morgen.«
»Nein. Sie müssen heute noch los. Jeder Augenblick zählt.«
»Völlig unmöglich. Ich komme gerade von dem Graveur. Die gefälschten Halsketten sind frühestens morgen früh fertig. Und ohne die breche ich nicht auf. Die sind mein Ass im Ärmel.«
Glaeken wog das einen Augenblick gegeneinander auf. So wie die Situation sich zuspitzte, war morgen
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