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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy Abrahamson
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langen, trompetenähnlichen Furz, und die Atemluft ringsum wird von lebensgefährlichenverdorbenen Gasen verdrängt. Sogar die Ringeltaube in der Birke fliegt auf, und wahrscheinlich bleiben in der Nachbarschaft die Uhren stehen.
    »Stimmt genau«, sagt der Landstreicher gut gelaunt und lässt mich los.
    Ich boxe ihn hart in den Magen.
    »Idiot!«
    Mutter kommt aus dem Haus gestürzt und löst sich sofort in Tränen auf.
    »Rafał! Um Gottes willen, wie siehst du denn aus?«, bricht es aus ihr heraus.
    Und sie hat recht. Rafałs Hose und Pulli sind löchrig und vollkommen verdreckt. Seine Wangen sind grau, der Bart verfilzt, und seine lockigen Haare erinnern an ein vertrocknetes Elsternnest. Statt eines Gürtels trägt er eine blaue Plastikschnur, und die Sohlen können sich jeden Augenblick vom Rest seiner Schuhe lösen. Außerdem hat er so viel Gewicht verloren, dass er sich als Gesicht für eine Kampagne gegen die Ruhr bewerben könnte.
    »Wie aus dem KZ«, schluchzt Mutter.
    Es folgen ein großes Sich-Umarmen und nicht enden wollender Jubel über die Heimkehr des verlorenen Sohnes, bevor Rafał duschen, Haare waschen, sich rasieren und sich entlausen geht. Sylwia und Celestyna stehen ein bisschen verschreckt dabei.
    Während des Abendessens erzählt Rafał, was er alles gemacht und wie er sich von Amsterdam nach Schweden durchgeschlagen hat, wo er vor drei Tagen angekommen ist.Wir essen verbrannten Dorsch mit dem Rest der Sauce, die Mutter vor ein paar Wochen zu den Hamburgern gemacht hat.
    »Und wie war’s in Delhi?«, fragt Mutter andächtig.
    »Dreckig, chaotisch und stinkend«, sagt Rafał. »Ich hab’s geliebt!«
    Seit er mit der Schule fertig war, ist Rafał nur durch die Welt gereist. Erst war er ein Jahr in Australien, dann in Kanada und zuletzt in Indien, wo er mit wackligen Bussen und Zügen voller Kakerlaken von Mumbai bis in den Himalaya gereist ist. Ich durfte nicht mal mit Natalie und Marie über Ostern nach Kopenhagen, aber Rafałs Lotterleben ist toll. Oder nein: ein Wunder.
    »In Delhi hab ich ein paar Norweger getroffen, bei denen kann ich im Sommer ein paar Monate auf dem Fischkutter jobben«, erzählt Rafał. »Mit dem Geld, das ich da verdiene, könnte ich endlich nach Kolumbien.«
    Rafał leert sein Bierglas und nimmt die vierte Portion verbrannten Fisch.
    »Und? Hast du eine Freundin?«, fragt Mutter.
    »Nein, ich übe noch«, sagt Rafał, und alle außer mir brechen in Lachen aus.
    »Alicja, bring deinem Bruder noch ein Bier aus der Küche!«, sagt Mutter, ohne den Blick von Rafał zu wenden.
    Aschenputtel geht in die Küche, um Bier zu holen, und träumt dabei vom großen Ball.
    Nach dem Abendessen geht Rafał mit Sylwia hinaus, um eine zu rauchen. Als Sylwia wiederkommt, schleiche ich mich hinaus und setze mich neben Rafał auf die Treppe. Vor uns leuchtet die untergehende Sonne.
    »Ich glaube, Sylwia versucht sich an mich ranzumachen«, sagt Rafał.
    »Würde mich nicht wundern«, sage ich. »Benutz bloß ein Kondom!«
    Wir schauen uns an und schneiden Ekelgrimassen.
    »Glückwunsch, du könntest Celestynas Stiefvater werden.«
    Rafał bietet mir eine Zigarette an, und ich schüttle den Kopf.
    »Hast du noch nicht angefangen zu rauchen?«
    »Ich warte, bis es wieder uncool wird.«
    Wir sitzen in der behaglichen Stille, die man nur mit jemandem haben kann, mit dem man sein ganzes Leben geteilt hat. Rafał schaut über die Schulter aufs Haus.
    »Richtig fertig sieht es noch nicht aus.«
    »Nein. Sie schiebt die Kartons und Kisten von einem Zimmer ins andere. Sie hat tausend Sachen angefangen, aber nichts zu Ende gebracht.«
    Rafał nickt. Ich hole tief Atem.
    »Hast du dich mal für ein Mädchen interessiert, auf das dein bester Freund stand?«
    »Klar«, sagt Rafał und drückt seine Zigarette aus.
    Stille. Mit dem Fuß schubse ich eine Fliege von der Treppe.
    »Ich rieche nicht nach Urin, oder?«, frage ich leise.
    »Nein, Mama hat mir von deinen Pickeln und Jadwigas Hausmittel erzählt. Ich hatte sie aus Indien angerufen.«
    Gut zu wissen, dass solche Nachrichten auch bis nach Indien durchdringen.
    »Manchmal hab ich alles so satt«, sage ich noch leiser.
    »Was zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel … Meinst du nicht, dass unser Leben hier leichter wäre, wenn wir eine schwedische Mutter hätten?«
    Rafał denkt nach.
    »Ich glaube nicht, dass es was damit zu tun hat, dass sie aus Polen ist.«
    Irgendwo hört man den lauten Schrei eines Fasans, gefolgt von Flügelschlagen.
    Am nächsten

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