Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Morgen beim Frühstück erzählt Mutter, dass sie Evert angerufen hat. Sie haben abgemacht, dass Sylwia bei ihm anfangen wird, sobald der Rest von ihren und Celestynas Sachen aus Polen hier ist.
»Der Rest?«, frage ich. »Sie haben noch mehr Sachen?«
»Ich hab schon die Karten für die Fähre besorgt«, sagt Mutter in die Runde. »Alicja und ich fahren am …«
Ohne den Schluss des Satzes abzuwarten, renne ich hoch in mein Zimmer, schmeiße mich aufs Bett und weine in meine Decke. Dann fange ich an zu packen.
9
Die Sonne scheint durchs offene Fenster in die kleine Wohnung in der ulica Lipowa in Gdynia. Draußen ist es schrecklich heiß, aber in der Wohnung ist es angenehm kühl.
Ich sitze mit Babcia – meiner Großmutter – gemütlich am Tisch, wir putzen Erdbeeren, die Tante Halina auf dem Markt gekauft hat. Der Tisch ist mit Zeitungspapier bedeckt, und die Erdbeeren liegen auf einem Haufen in der Mitte. Babcia benutzt ein kleines Messer mit einem Holzgriff und ich meine Hände, um die kleinen grünen Blättchen zu entfernen. Normalerweise ist die Wohnung voller Tanten, Onkel und Cousinen, aber jetzt gerade sind wir allein, und es ist schön, einfach nur dazusitzen, nichts zu reden und zu sehen, wie die Hände immer rotfleckiger werden.
Ich greife nach einer ungewöhnlich runden und perfekten Erdbeere, die mich sofort an Ola Olsson erinnert. Meine Wangen nehmen dieselbe Erdbeerfarbe an wie meine Hände, aber zum Glück merkt Babcia nichts.
»Hat Mutter erzählt, dass ich den Papst gesehen habe«, frage ich auf Polnisch.
Babcia wiegt lächelnd den Kopf.
»Ich hab’s gehört«, krächzt sie. »Meine Enkelin und der Papst!«
Eine warme Welle des Stolzes überflutet mich, währendBabcia sich mithilfe ihrer Stöcke schwerfällig erhebt. Nach einer Weile kommt sie mit einem eingerahmten Foto von Johannes Paul II. zurück. Wir stellen das Bild auf den Tisch. Mit dem Papst sind wir jetzt zu dritt. Dann putzen wir gemütlich weiter.
Seit drei Tagen sind Mutter und ich schon in Gdynia, und das hier ist mein erster ruhiger Augenblick. Wir schlafen im Wohnzimmer der Wohnung in der ulica Lipowa, wo Babcia, Tante Halina, ihr Mann Jerzy und mein Cousin Marek wohnen. Es ist eine winzig kleine Wohnung in einem grauen Mietshaus mit bröckelndem Mauerwerk und einem Keller, in dem es Ratten geben soll.
Es gibt viele Dinge in Polen, die mich traurig machen: das magere Angebot in den Lebensmittelgeschäften zum Beispiel oder die abgestandene Luft in den Treppenhäusern, die altmodischen Kleider, die meine Verwandten tragen, der stinkende schwarze Rauch, der hinten aus den Bussen quillt, und Tante Halinas Jubel über die tollen Sachen, die wir aus Schweden mitgebracht haben ( Marabou -Milchschokolade, Slips, Glühbirnen). Ich finde es bewundernswert, dass die Polen überhaupt noch Lust haben, morgens aufzustehen. Dass sie eine eigene Nation sein wollen, obwohl sie so lange die Fußabstreifer Europas waren. Erst wurde das Land von den Nazis überfallen und Millionen Polen wurden getötet, dann kamen die Kommunisten und alles wurde verboten, und unsere Verwandten brauchten eine besondere Erlaubnis, wenn sie uns besuchen wollten.
Und trotzdem sind die Menschen hier keine Trauerklöße.Ein polnisches Abendessen mit der Verwandtschaft ist das genaue Gegenteil von einem zu Hause, wenn Vaters Geschwister still bei Tisch sitzen und schweigend ihren Kaffee schlürfen. Seit wir in Gdynia angekommen sind, wird jeden Abend groß aufgetischt mit eingelegten Gurken, Roter Bete, Tomaten, Schwarzbrot, Wodka, noch mehr Wodka und viel Lachen. Man prostet einander zu, und alle reden gleichzeitig. Alle meine Onkel haben große störrische Schnurrbärte und sehen wie Wodka trinkende Walrosse aus. Falls jemand genauer wissen will, wie es bei einem ganz normalen polnischen Abendessen mit Verwandten zugeht:
»Haben alle was zu essen?«
»Jerzy, Zbychus sitzt auf dem Trockenen!«
»Alicja, ich fass es nicht, wie groß du geworden bist – eine richtige Dame.«
»Hier, nimm eine Tomate!«
»Na zdrowie!« (Gläserklirren)
»Schau, die Gurke sieht wie General Jaruzelski aus!«
»Wäschst du dir wirklich das Gesicht mit Urin, wie Jadwiga es vorgeschlagen hat?«
»Und die Kartoffel wie Lech Walesa!«
»Nein, nein, nicht noch mehr Wein!«
»Man kann auch eine Creme aus welken Brennnesseln, Weinessig und Sauermilch machen, die hilft auch gegen schlechte Haut.«
»Hier, nimm noch eine Kabanossi!«
»Los, Mama, trink, sonst gibt’s
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