Wie Blueten Am Fluss
atemberaubend zu gestalten wie einen Tanz auf einem Ball. Sie
freute sich königlich, als sie, obwohl sie doch noch eine Anfängerin auf diesem Gebiet war, ein
unbewegliches Ziel traf. Voller Erwartung sah sie bereits dem Tag entgegen, da sie den Blick auf ein
bewegliches Ziel heften und auch in dieses ein Loch schießen würde. Andererseits hegte sie doch
ernste Zweifel an ihrer Fähigkeit, ein Tier oder einen Menschen zu töten, und sie hoffte inbrünstig, daß der Tag niemals kommen werde, an dem sie auf eine solche Probe gestellt würde. Allerdings wußte sie sehr wohl, daß sie wahrscheinlich ganz anders denken würde, falls sie sich jemals der Gefahr
gegenübersehen sollte, von Jacob Potts besinnungslos geschlagen oder gar getötet zu werden.
»Es sieht so aus, mein Mädchen, als hättest du ein natürliches Talent dafür, das Ziel zu treffen«, lobte Gage sie am nächsten Tag. »Nun wollen wir mal sehen, wie du dich bei einem beweglichen Ziel verhältst.«
Gillian hatte sich freiwillig erboten, ihnen zu Übungszwecken
247
einen Zinnteller hoch in die Luft zu werfen, aber Gage war es, der abermals dicht hinter Shemaine
stand und die Arme um sie geschlungen hielt, um ihr zu helfen, das Gewehr zu halten, und sie durch
die Prozedur des ersten Anvisierens und letztendlichen Abfeuerns der Waffe zu begleiten. Obwohl
Gage es ihr gestattete, selbst das Steinschloßgewehr auszurichten und abzudrücken, stand er doch auch
deshalb hinter ihr, weil er sicherstellen wollte, daß keiner ihrer Schüsse in die Irre ging. Aber als er spürte, daß sie am ganzen Leib zitterte, mißverstand er ihre Furcht und versuchte, sie zu beruhigen.
»Für eine Anfängerin hältst du dich außergewöhnlich gut, Shemaine, also entspann dich einfach und
laß dir zeigen, wie du die Waffe einem Ziel nachführen mußt.«
Eine ganze Weile bevor der Schuß abgegeben wurde, mußte Shemaine einsehen, daß es ihr so gut wie
unmöglich war, sich auf irgendein Ziel zu konzentrieren, denn ihre Gedanken beschäftigten sich
ausschließlich mit dem Mann und nicht mit der Waffe in ihren Händen. Sobald das Gewehr losging,
der Schuß den Teller um ein beträchtliches verfehlte und der Rückstoß sie gegen die kräftige Gestalt
hinter sich warf, entrang sich ihr ein erschrockenes Stöhnen, und das mit gutem Grund. Es war
unleugbar ein Schock für ihr weibliches Empfinden, ihr weiches Hinterteil plötzlich gegen einen
harten Schenkel gepreßt zu finden. Hätte sie auf glühenden Kohlen gesessen, wäre ihre Reaktion kaum
anders ausgefallen, denn sie riß sich von ihm los, als hätte sie sich die Kehrseite verbrüht.
»Das war nicht annähernd so gut wie das, was du gestern gezeigt hast, aber wir versuchen es noch
einmal«, kam Gages beiläufiger Kommentar. Dann beugte er sich dicht über ihre Schulter, damit er
beim nächsten Mal besser sehen konnte, wohin sie zielte. Er war keineswegs unempfänglich für ihren
schmiegsamen Körper in seinen Armen, aber er hatte sich entschieden, alle widerspenstigen Gedanken
im Keim zu ersticken, besonders während ihrer Lektionen. »Kein Grund, nervös zu sein, Shemaine.
Entspann dich einfach.«
Ich habe absolut jeden Grund, nervös zu sein! dachte Shemaine
248
voller Panik, als sie spürte, wie seine Brust sich abermals gegen ihren Rücken drängte und sein Arm
sie beiläufig umfing, während er eine Hand unter den Lauf des Steinschloßgewehres legte, so daß
dessen Gewicht sie nicht zu sehr belastete. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl zu ersticken; sie konnte nicht mehr atmen und wußte, daß es kein Entrinnen für sie gab, es sei denn, sie hätte sich der schlimmsten Peinlichkeit ausgesetzt.
Mit einer jähen Bewegung schüttelte sie seine Arme ab, ließ das Gewehr in seinen Händen zurück und
lief mit einer atemlosen Entschuldigung auf die Hütte zu. »Ich muß mein Brot kneten! Ich habe jetzt
keine Zeit für weitere Lektionen.«
»Shemaine, wo willst du hin...? Komm sofort zurück!« Während sie ihre Röcke raffte und auf die
Veranda zustürmte, konnte er ihr nur mit offenem Mund nachsehen. Vollends verwirrt tauschte er
einen Blick mit Gillian, der sich ebenfalls keinen Reim auf Shemaines Verhalten machen konnte.
Der jüngere Mann zuckte die Achseln, betrachtete den nach wie vor unversehrten Zinnteller und hielt
ihn seinem Arbeitgeber hin. Dann verkündete er grinsend: »Nun, zumindest können Sie immer noch
von dem Ding essen.«
Am nächsten Tag kamen Hannah Fields und -
Weitere Kostenlose Bücher